Brexit

Nordirland wird zum Zankapfel

Der Streit um die Lieferung von englischen Chicken Nuggets und Würstchen nach Ulster hat an Schärfe gewonnen. Boris Johnson pocht darauf, dass die Provinz Teil des Vereinigten Königreichs ist.

Nordirland wird zum Zankapfel

Von Andreas Hippin, London

Der britische Premierminister Boris Johnson hat zu einem Gleichnis gegriffen, um seinem französischen Amtskollegen Emmanuel Macron die Probleme bei der Umsetzung der Nordirland-Bestimmungen des Austrittsabkommens darzulegen: „Was würden Sie davon halten, wenn französische Gerichte den Transport von Toulouser Wurst nach Paris stoppen würden?“ Doch Macron bemängelte, der Vergleich komme nicht ganz hin, denn Toulouse und Paris befänden sich im gleichen Land. „Nordirland und Großbritannien sind auch Teil des gleichen Landes“, antwortete Johnson verschnupft. Und wieder ließ sich behaupten, die EU stelle die territoriale Integrität des Vereinigten Königreichs in Frage.

Eine ganze Reihe von EU-Führern habe über Nordirland gesprochen, „als handele es sich irgendwie um ein anderes Land“, bemängelte der britische Außenminister Dominic Raab. „Könnten Sie sich vorstellen, dass wir über Katalonien, den flämischen Teil von Belgien, eins der deutschen Bundesländer, Norditalien oder Korsika als andere Länder reden?“ Er forderte „ein bisschen Respekt“ und Verständnis für alle betroffenen Gruppen in Nordirland. „Frankreich hat sich nie die Freiheit genommen, die territoriale Integrität des Vereinigten Königreichs in Frage zu stellen“, beteuerte Macron nach dem Affront. Aber da war das Porzellan schon zerschlagen.

Selbstbestimmungsrecht

Es müsse endlich in den Köpfen der Europäer Einzug halten, dass die Provinz Teil des Landes sei, sagte Johnson. Tatsächlich scheint man mancherorts der Meinung zu sein, dem sei nicht so, doch der angloirische Vertrag von 1921 legt das eindeutig fest. Darin wird das Selbstbestimmungsrecht der 26 Grafschaften der Grünen Insel anerkannt. Nordirland entschied sich für den Verbleib im Vereinigten Königreich. Auch das Karfreitagsabkommen, mit dem 1998 der nordirische Bürgerkrieg zu Ende ging, rüttelt nicht daran. Es legt nicht etwa fest, dass sich London und Dublin die Souveränität teilen. Allerdings bietet es die Möglichkeit, den Status von Ulster durch eine Volksabstimmung zu ändern. Im Karfreitagsabkommen steht nicht, dass eine Zollgrenze zur Republik im Süden vermieden werden muss. Als es unterzeichnet wurde, dachte niemand daran, dass Großbritannien eines Tages aus der EU austreten könnte. Das Nordirland-Protokoll des EU-Austrittsabkommens sollte dafür sorgen, dass der Brexit nicht zu einem Wiederaufflammen der Spannungen zwischen den ehemaligen Bürgerkriegsgegnern führt. Anders als das Karfreitagsabkommen berücksichtigt es aber nicht die Interessen aller Bevölkerungsgruppen, sondern dient in erster Linie dazu, die Integrität des EU-Binnenmarkts aufrechtzuerhalten, ohne eine harte Grenze zu errichten. Dafür ist eine innerbritische Zollgrenze in der Irischen See erforderlich, der Johnson zugestimmt hat – offenbar ohne sich groß Gedanken über die Konsequenzen zu machen. Problematisch ist auch, dass Nordirland nun EU-Regeln unterliegt, zu denen es keinerlei Mitspracherecht hat.

Der aktuelle Streit zwischen London und Brüssel dreht sich darum, in welchem Umfang an dieser Grenze kontrolliert werden soll. Die EU möchte Großbritannien zu einem Veterinärabkommen bewegen. Das würde allerdings bedeuten, dass neue Vorgaben aus Brüssel automatisch übernommen werden müssten. Freihandelsabkommen mit Drittstaaten würden dadurch erschwert. Der Streit wäre mit ein bisschen Pragmatismus beizulegen. Doch hat man in London den Verdacht, dass EU-Politiker die Briten immer noch für den Brexit bestrafen wollen.