Ökonomen für Erhöhung des Renteneintrittsalters
ast Frankfurt
Es war Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf, der kürzlich mit der Idee vorpreschte, das Renteneintrittsalter schrittweise auf 70 Jahre zu erhöhen. „Wir werden länger und mehr arbeiten müssen“, prognostiziert er. Denn Deutschland fehlen Arbeitskräfte, speziell Fachkräfte und junge Menschen allgemein. Die Gewerkschaften laufen Sturm gegen den Vorschlag. Doch bei Ökonomen überwiegt die Ansicht, dass es ohne ein höheres Rentenalter nicht funktionieren wird.
Nie zuvor lebten weniger junge Menschen in Deutschland. Nur jeder Zehnte war dem Statistischen Bundesamt (Destatis) zufolge Ende des vergangenen Jahres zwischen 15 und 24 Jahre alt, das entspricht etwa 8,3 Millionen Menschen. Demgegenüber stehen mehr als 18 Millionen Menschen in Deutschland, die älter als 65 Jahre sind. Das belastet schon heute das Rentensystem. Aufgrund der Unwucht in der demografischen Bevölkerungspyramide muss der Staat die gesetzliche Rentenversicherung bezuschussen. Rund 100 Mrd. Euro, also knapp ein Viertel des Bundeshaushalts, fließen jedes Jahr in diesen Topf. Eigentlich sollen den Topf aktuell Erwerbstätige füllen, damit den heutigen Ruheständlern, die früher selbst eingezahlt haben, ihre Rente ausgezahlt werden kann. Doch angesichts der überalternden Gesellschaft hakt das System: Zu wenige Beitragszahler stehen zu vielen Rentnern gegenüber.
Das Renteneintrittsalter wird derzeit bereits schrittweise auf 67 Jahre erhöht – gegen den Widerstand der Gewerkschaften. Bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi heißt es: „Wer ein Leben lang körperlich hart gearbeitet hat, kann häufig nicht bis 65 oder 67 weiterarbeiten.“ Anja Piel aus dem Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) nennt Wolfs Vorstoß „nichts anderes als eine Rentenkürzung mit Ansage“. Viele Beschäftigte würden es schon heute nicht mehr schaffen, „gesund bis zur Rente durchzuhalten“, sagte sie. Der Vorschlag des Gesamtmetall-Präsidenten zielt aber auf ein noch späteres Eintrittsalter ab: „Stufenweise werden wir auf das Renteneintrittsalter von 70 Jahren hochgehen müssen – auch weil das Lebensalter immer weiter steigt“, sagte Wolf.
Das Lager aus Linken und Gewerkschaften tut das als „sozialen Bullshit“ ab, doch Wolf erhält Rückendeckung aus der Wirtschaftsforschung. So spricht sich der neue Wirtschaftsweise Martin Werding ebenfalls für eine Anhebung aus. „Wir brauchen ein höheres Rentenalter“, sagte der Professor für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen der „Süddeutschen Zeitung“. „Das Rentenalter sollte bis 2042/43 auf 68 Jahre steigen und bis 2054/55 auf 69“, so Werding. Man solle auch überlegen, die Renten nicht mehr an die Löhne zu koppeln, sondern an die Inflation. „Das bedeutet in normalen Zeiten, in denen die Inflation viel niedriger ist als jetzt, weniger Rentensteigerung.“
Ohne politische Reformen würden die Sozialbeiträge von heute 40% bis 2035 auf 48% steigen. „Um das Finanzloch zu schließen, bräuchte man 2040 zusätzlich 180 Mrd. Euro pro Jahr. 60% des ganzen Bundeshaushalts würden in die Sozialversicherung gehen, das ist völlig unbezahlbar.“
Ein neuer Job im Alter
Nicht weniger als die Sicherung von Rente und Wohlstand künftiger Generationen steht auf dem Spiel. Doch wie die Gewerkschaften zu Recht betonen, können Erwerbstätige nicht in allen Berufen bis ins hohe Alter arbeiten. Beliebtes Beispiel sind etwa Handwerkerberufe wie Dachdecker, in denen eine Verlängerung des Arbeitslebens geradezu absurd erscheint. Ökonomen wie Werdings Kollegin Veronika Grimm im Sachverständigenrat fordern daher Möglichkeiten, „sich entlang des Erwerbsverlaufs für Tätigkeiten zu qualifizieren, die am Ende des Erwerbslebens leistbar sind“ (siehe Interview auf dieser Seite).