75 Jahre Ifo-Institut

Ökonomische Politikflüsterer

Das Ifo-Institut hat die Konjunkturforschung revolutioniert und setzt auf ein großes Netzwerk an Ökonomen. In Zeiten von Fake News und Filterblasen muss nun auch die ökonomische Politikberatung reformiert werden. Die Forschungsinstitute müssen ihre Kräfte bündeln.

Ökonomische Politikflüsterer

Ökonomische Politikflüsterer

In Zeiten von Fake News und Filterblasen muss Wissenschaft ihren Einfluss bündeln und die Politikberatung fokussieren.

Von Stephan Lorz, Frankfurt

Man braucht nur die Namen einiger früherer Angestellter des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung zu nennen, um einen Eindruck zu vermitteln, welche Bedeutung diese Institution in der wirtschaftspolitischen Debatte hat: die Bundesbankpräsidenten Helmut Schlesinger und Karl-Otto Pöhl sowie die Ifo-Präsidenten Karl Heinrich Oppenländer, Hans Werner Sinn und – aktuell – Clemens Fuest. Ludwig Erhard und Adolf Weber waren die Geburtshelfer. Heute vor 75 Jahren wurde das Institut gegründet und feiert dies standesgemäß mit zahlreichen Veranstaltungen.

Gleich nach dem Krieg startete das Institut mit Unternehmensbefragungen als neuer Methode der Wirtschafts- und Konjunkturbeobachtung, heute als „Ifo-Klima“ einer der relevantesten Frühindikatoren überhaupt. Wichtige Impulse gingen und gehen von dieser Institution auch in die Politik für Gesetzesvorhaben und die Einschätzung von Entwicklungen aus – heute wichtiger denn je angesichts vielfältiger Falschmeldungen im Netz und krakeelender ökonomischer Aufklärer auf Tiktok und anderswo. Verlässlichkeit, Vertrauen und Kompetenz kommen hier zusammen und helfen, der ökonomischen Debatte Struktur und Richtung zu geben.

Ifo = Information und Forschung

Denn das „Ifo“ im Namen des Instituts steht für „Information und Forschung“. Es geht darum, der Öffentlichkeit und der Politik ökonomische Zusammenhänge in verständlicher Sprache nahezubringen und ihnen damit das nötige Vorwissen für Entscheidungen und eigenes Verhalten an die Hand zu geben. Denn „Ökonomie“ ist für Bürger und Politiker in der Regel keine leichte Kost.

So schwingt bei vielen Zeitgenossen stets Skepsis mit, wenn Ökonomen für Vertrauen in den „Preismechanismus“ als zentrale Steuerung für die Marktwirtschaft werben. Statt auf die „unsichtbare Hand“ des Marktes zu vertrauen, ziehen viele Politiker instinktiv organisatorische Vorgaben vor, bei deren Bekanntgabe sie sich natürlich auch gerne von den begünstigten Adressaten feiern lassen.

Überraschende Wechselwirkungen

Dabei ist es oftmals besser, gerade nichts zu tun. Denn manches Engagement für einzelne Gruppen löst Folgeprozesse aus, die das Vorhaben ins Gegenteil verkehren. Wohin es führt, wenn auch noch jedes kleinste Detail geregelt wird, zeigt sich aktuell in Deutschland, wo Unternehmen über zu viel Bürokratie, zu komplexe und langwierige Entscheidungswege und zu hohe Abgaben klagen.

Es ist das Verdienst des Ifo-Instituts und aller anderen Forschungsinstitute, nicht nur das gerade naheliegende Problem zu analysieren und der Politik dafür Handlungsoptionen aufzuzeigen, sondern den Blick zu weiten auf die gesamten Auswirkungen von Maßnahmen und dies auch mit einer breiten Öffentlichkeit zu teilen. Vielleicht müssen sich die Ökonomen hier noch mehr einbringen und in der Politik stärker institutionell verankern.

Keynesianisches DIW

Natürlich befindet sich das Ifo-Institut auch im Wettbewerb mit anderen Forschungseinrichtungen wie dem DIW in Berlin, HWWA in Hamburg, RWI in Essen, IWH in Halle oder ZEW in Mannheim. Alle haben eine etwas unterschiedliche Forschungsausrichtung und sind auch ideologisch anders gefärbt. Das DIW unter seinem Präsidenten Marcel Fratzscher zeigt sich etwa besonders deutlich als keynesianischer Leuchtturm in der Szene, während die anderen mehr Zurückhaltung üben. Gemeinsam ist ihnen aber, neue Forschungserkenntnisse beizutragen und die Politik auf wissenschaftlicher Grundlage zu beraten.

Während die Politikberatung im angelsächsischen Ausland meist über Wissenschaftler erfolgt, sind es in Frankreich staatsfinanzierte Institutionen. Deutschland steht mit seinen geförderten Instituten dazwischen. In ihrer Vielfalt signalisieren sie der Öffentlichkeit nicht nur, dass auch von Wissenschaft abgeleitete Meinungen unterschiedlich ausfallen können, sondern dokumentieren dadurch auch ihre Unabhängigkeit, wodurch sie Vertrauen gewinnen. Gerade das Ifo ist hier mit CESIfo, einem Netzwerk von 2.000 Ökonomen, besonders breit aufgestellt.

Kompetenzen bündeln

Dagegen führt die klassische Politikberatung über den Sachverständigenrat für Wirtschaft (SVR) oder die wissenschaftlichen Beiräte in den Ministerien ein eher kümmerliches Dasein. Der SVR ist personell sehr eng aufgestellt, macht allenfalls durch Einzelmeinungen seiner Wirtschaftsweisen von sich reden. Und die Beiräte scheinen abgetaucht.

Vielleicht ist es an der Zeit, dass die Wirtschaftsforschungsinstitute ihre Kompetenzen bündeln und verstärkt gemeinschaftlich auftreten – nicht nur für die Verkündung der Wachstumsprognose. Institutionalisiert beim Bundeskanzler könnten sie besser in die Politik hineinwirken als die Beiräte. Und durch ihre Verwurzelung in einem Netzwerk unabhängiger Forscher hätten sie den nötigen Schutzschild, um sich vor der Vereinnahmung durch die Politik zu schützen.

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