Serie zur US-Wahl (Teil 1)Was den Wahlkampf bestimmt

Offenes Rennen um den Chefsessel im Weißen Haus

Im Duell zwischen Kamala Harris und Donald Trump um die US-Präsidentschaft ist alles offen. Die Wahlbeteiligung, soziale Medien und Trumps Unvorhersehbarkeit werden eine größere Rolle spielen als politische Inhalte.

Offenes Rennen um den Chefsessel im Weißen Haus

Serie zur US-Präsidentschaftswahl: Was den Wahlkampf bestimmt (1)

Offenes Rennen um den Chefsessel im Weißen Haus

Harris will ihr Wirtschaftsprogramm in den Mittelpunkt stellen – Trump konzentriert sich auf persönliche Angriffe gegen die Vizepräsidentin

In zwei Monaten werden mehr als 150 Millionen US-Wähler ihren nächsten Präsidenten bestimmen. In dem Duell zwischen Kamala Harris und Donald Trump ist alles offen. Die Wahlbeteiligung, soziale Medien und Trumps Unvorhersehbarkeit werden eine wichtigere Rolle spielen als politische Inhalte.

Von Peter De Thier, Washington

Noch nie ist es in der jüngeren US-Geschichte vorgekommen, dass sich im Rennen um die Präsidentschaft innerhalb von so kurzer Zeit eine so dramatische Wende vollzogen hat. Vor sechs Wochen galt der republikanische Spitzenkandidat Donald Trump noch als der klare Favorit. Nun hat seine demokratische Kontrahentin Kamala Harris alle Trümpfe in der Hand. Gleichwohl ist zwei Monate vor der Wahl noch nichts entschieden. 

Knapper Vorsprung

Ihre Kandidatur, ausgelöst durch den plötzlichen Ausstieg von Präsident Joe Biden, trat eine Welle der Begeisterung los. Für den Höhenflug ist noch kein Ende in Sicht. Wie ein Durchschnittswert aus den wichtigsten Umfragen ergibt – dieser wird von der Website realclearpolitics.com veröffentlicht – liegt die Demokratin jetzt in den drei wichtigsten Swing States, nämlich Pennsylvania, Michigan und Wisconsin, knapp vorn.

In den übrigen Staaten mit einem hohen Anteil unentschlossener Wechselwähler liegen Harris und Trump in einem toten Rennen. Dazu zählen Georgia, North Carolina, Arizona und Nevada. Auf nationaler Ebene freut sich die Demokratin über einen Vorsprung von über 3 Prozentpunkten, der aber innerhalb der statistischen Fehlermarge liegt.

Doch welche Themen und Entwicklungen werden in den letzten zwei Monaten den Sieger bestimmen? Ein Grund für die überraschende Wende ist der unvorhergesehene Paradigmenwechsel. So hatten mehr als zwei Drittel der Amerikaner gesagt, dass sie keine Neuauflage des „Duells der alten Herren“, nämlich zwischen Biden und Trump, sehen wollen. Nach dem aus der Sicht von Biden gescheiterten TV-Duell, das den Weg für seinen Ausstieg bereitete, haftete ihm das Etikett des inkompetenten Greises an.

Trump in neuer Rolle

Seitdem aber Harris die Bühne betrat, ist der Republikaner Trump in der Rolle des „alten Mannes“, die ihm sichtlich missfällt. Folglich tut Trump - zum Leidwesen seiner Berater – seit Wochen nichts, außer die persönlichen Beleidigungen gegen seine Gegnerin zu verschärfen und ein Potpourri aus seinen ältesten Schlagern anzustimmen: Unter anderem die Lüge einer gestohlenen Wahl im Jahr 2020, eines angeblichen „Deep State“, und einer Justiz, die Biden sowie seine demokratischen Parteifreunde missbrauchen, um ihn vor Gericht zu stellen. 

Neben dem neuen Gesicht, das die Wähler begeistert, werden aber in den kommenden Wochen auch andere Faktoren den Wahlausgang entscheiden. So wird die Wahlbeteiligung eine zentrale Rolle spielen. Im Jahr 2020 gaben mehr als 155 Millionen Amerikaner ihre Stimme ab. Diese Rekordzahl dürfte im November übertroffen werden. Traditionell betreiben Demokraten die bessere Basisdemokratie. Sie haben also mehr Helfer, die an Türen klopfen, Wahlkampfveranstaltungen durchführen, Telefonate machen und sämtliche Hebel in Bewegung setzen, um ihre Wähler zu mobilisieren. 

„Deep Fakes“ auf sozialen Medien

Auch werden soziale Medien ins Gewicht fallen. Die Berater des republikanischen Kandidaten, die verzweifelt sind über Trumps hartnäckigen Rückstand, haben während der vergangenen Wochen zahlreiche „Deep Fakes“ von Harris auf sozialen Medien verbreitet. Dasselbe tut Trumps reichster und mächtigster Anhänger, Elon Musk.

Auf seiner Plattform X hat der Milliardär unter anderem ein Video der Demokratin gepostet, in dem sie angeblich eine kommunistische Uniform trägt. Die Demokraten haben hingegen einen geradlinigen Ansatz gewählt. Mit der Unterstützung von Influencern haben sie auf TikTok und anderen Social-Media-Plattformen hunderte von Videos platziert, die für die Vizepräsidentin werben und Ihre Popularität gerade bei jungen Wählern erhöht haben. 

Politische Themen zweitrangig

Unterdessen hat es den Anschein, als würden harte, politische Themen nur die zweite Geige spielen. Harris will sich auf ihr wirtschaftspolitisches Programm konzentrieren, unter anderem auf das geplante Verbot von Preisabsprachen in der Lebensmittel- und Pharmaindustrie. Auch staatliche Zuschüsse für Hauskäufer und Steuererleichterungen für kleine Unternehmen stehen im Programm. Trump dagegen will zum Angriff blasen. Anstatt eigene Initiativen vorzustellen, will er seiner Gegnerin die Inflation, die Immigrantenkrise und selbst die Kriege in der Ukraine sowie dem Nahen Osten zur Last legen. 

Dabei werden die Kandidaten schon in wenigen Tagen an einem Scheideweg stehen, der den weiteren Verlauf mitbestimmen wird. In der Nacht zum Mittwoch kommender Woche werden sich Trump und Harris zum ersten Mal persönlich begegnen. Dann gleich vor einem Publikum von mehreren hundert Millionen Menschen, nämlich in ihrer ersten und womöglich einzigen Fernsehdebatte. Wer daraus in den Augen der Wähler als Sieger hervorgeht, könnte mit einem bedeutenden Vorsprung auf die Zielgerade eines bitter ausgefochtenen Wahlmarathons einbiegen.

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