Polen wird Thema auf dem Europäischen Rat
ahe/wf Brüssel/Berlin
Der Streit innerhalb der EU um die Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit in Polen sowie das umstrittene Urteil des polnischen Verfassungsgerichts, das den Vorrang von europäischem Recht in Frage stellt, wird jetzt auch Thema auf dem anstehenden EU-Gipfel. Dies kündigte EU-Ratspräsident Charles Michel in seinem Einladungsschreiben an die Staats- und Regierungschefs an, ohne hierzu weitere Details zu nennen.
Das Thema, das bislang noch nicht offiziell auf der Agenda des Europäischen Rates gestanden hatte, soll am Donnerstag noch vor dem Abendessen aufgerufen werden. Wie es aus Kreisen der Bundesregierung hieß, haben bereits Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki sowie sein niederländischer Amtskollege Mark Rutte Einlassungen zu dem Streit angekündigt. Morawiecki hatte schon im EU-Parlament in Straßburg unzulässige Kompetenzüberschreitungen der Europäischen Kommission beklagt und von „finanzieller Erpressung“ gesprochen.
In Berlin wurde betont, in der Debatte auf dem Gipfel werde es ausdrücklich nicht um Sanktionen gegen Polen gehen. Es gelte aber, ein Problem zu lösen. Der Streit um die Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit habe mit dem Urteil des polnischen Verfassungsgerichts „eine neue Stufe erreicht“. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich deutlich für eine Fortsetzung des politischen Dialogs mit Warschau ausgesprochen.
Im EU-Parlament wächst unterdessen die Unzufriedenheit, dass die Europäische Kommission nicht schon längst den neuen Rechtsstaatsmechanismus angewandt und Polen bereits EU-Mittel gestrichen hat. Parlamentspräsident David Sassoli beauftragte deshalb am Mittwoch den juristischen Dienst seines Hauses, eine Klage gegen die Kommission vorzubereiten. Eine Mehrheit der Fraktionsvorsitzenden hatte dieses Vorgehen gefordert. Auch der Rechtsausschuss des Parlaments hatte sich dafür ausgesprochen.
Nach Angaben von Charles Michel wird der Europäische Rat sich am Donnerstag auch mit den explosionsartig gestiegenen Energiepreisen befassen sowie eine Grundsatzdebatte über die europäische Handelspolitik führen. Hier hatte zuletzt die französische Forderung nach einer „strategischen Autonomie“ für Streit mit den anderen Mitgliedsländern gesorgt. Am Freitag wollen die Staats- und Regierungschefs dann über die Themen Migration und Digitalisierung reden.