EZB

Politisches Minenfeld

Die Politik sollte der Versuchung widerstehen, das Gutachten von Ex-Verfassungsrichter Paul Kirchhof zur Verfassungswidrigkeit des Negativzinses als Steilvorlage für populistische Attacken auf die EZB zu nutzen – auch und gerade im Wahlkampf.

Politisches Minenfeld

Wenn sich Paul Kirchhof als ehemaliger einflussreicher Richter am Bundesverfassungsgericht zu Verfassungsfragen äußert, hat das immer noch Gewicht. Kein Wunder also, dass er jetzt viele Schlagzeilen macht mit einem neuen Gutachten, laut dem der EZB-Negativzins verfassungswidrig ist. Nun muss man wahrlich kein Freund des Negativzinses sein – aber ganz so einfach ist es dann doch nicht.

Der Negativzins und die EZB-Geldpolitik bedeuteten eine Enteignung der Sparer und verletzten das im Grundgesetz und im Europarecht garantierte Recht auf Privateigentum, so Kirchhof. Tatsächlich ist er beileibe nicht der Erste, der über eine Enteignung der Sparer lamentiert, und er ist nicht einmal der Erste, der mittels Gutachten die Rechtmäßigkeit des Negativzinses in Abrede stellt. Fakt ist aber, dass bislang kein Sparer und keine Bank Verfassungsklage gegen den Negativzins eingereicht hat – obwohl es sonst in Deutschland am Willen zu Klagen gegen die EZB nicht mangelt. Am Ende ist aber das Verdikt der aktuellen obersten Richter entscheidend.

Noch fraglicher als die juristische Argumentation ist aber die ökonomische Begründung. Entscheidend für den Sparer ist nicht der nominale, sondern der reale Zins – also was nach Abzug der Inflation übrig bleibt. Der ist zwar auch negativ, aber das war auch zu seligen Bundesbank-Zeiten immer wieder der Fall – ohne dass Zeter und Verfassungsbruch geschrien wurde. Vor allem aber ist der Fokus auf den Sparer verengt. Die Deutschen sind auch Arbeitgeber, Steuerzahler, Kreditnehmer – und als solche profitieren sie von niedrigen Zinsen.

Das alles bedeutet keineswegs, dass der Negativzins keine Pro­bleme und Risiken birgt. Er setzt Versicherer und Pensionsfonds unter Druck und erschwert so die Altersvorsorge. Er befördert die Jagd nach Rendite und erhöht mithin systemische Risiken. Und er belastet die Banken und kann damit gar adverse Effekte auf die Kreditvergabe haben. Zumindest auf Dauer ist das Kosten-Nutzen-Verhältnis mindestens zweifelhaft. Ihn einfach als verfassungsfeindlich abzuqualifizieren ist aber zu kurz gesprungen.

Die Politik sollte denn auch der Versuchung widerstehen, das Gutachten als Steilvorlage für populistische Attacken auf die EZB zu nutzen – auch und gerade im Wahlkampf. Aber auch der EZB sollte das Mahnung sein: Sie sollte keineswegs länger an der ultralockeren Geldpolitik festhalten als unbedingt nötig und diese schon gar nicht vollends in den Dienst der Staatsfinanzen stellen. Vor allem aber sollte sie sich hüten, noch stärker in politisches Minenfeld vorzudringen. Der Kampf gegen den Klimawandel und gegen Ungleich­heit etwa ist primär eine politische Aufgabe.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.