InterviewMartin Schirdewan

„Privat statt Staat ist abenteuerlich“

„Mindestens eine weitere Reform der Schuldenregeln“, fordert der EU-Abgeordnete Martin Schirdewan. Der Linken-Politiker beäugt zudem die Vorschläge für die Kapitalmarktunion skeptisch.

„Privat statt Staat ist abenteuerlich“

Im Interview: Martin Schirdewan

„Privat statt Staat ist abenteuerlich“

Der Europaabgeordnete der Linken über Schuldenregeln, die soziale Taxonomie und die Kapitalmarktunion

Martin Schirdewan, Europaabgeordneter der Linken und Mitglied im Wirtschafts- und Währungsausschuss des EU-Parlaments, macht sich dafür stark, die vor wenigen Monaten neu gefassten europäischen Schuldenregeln zu reformieren. Dem Projekt der Kapitalmarktreform steht er skeptisch gegenüber.

Herr Schirdewan, was sind die finanz- und wirtschaftspolitischen Schwerpunkte, mit denen sich das EU-Parlament in den nächsten fünf Jahren beschäftigen wird?

Wir werden sicherlich darüber streiten, wie die nötige Infrastruktur für den digitalen und grünen Wandel finanziert werden kann. Schließlich ist das die Basis für die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft und der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie.

Und worüber genau werden Sie im Wirtschaftsausschuss streiten?

Erstes großes Streitthema werden die Schuldenregeln sein. Ich finde es völlig unzufriedenstellend, dass diese Regeln nun wieder in Kraft gesetzt worden sind. Die Auflagen für die Staatshaushalte sind massiv. Wir brauchen daher mindestens eine weitere Reform der Schuldenregeln, um Investitionen in die Zukunft zu ermöglichen. Zweites Streitthema ist die Kapitalmarktunion – und damit verbunden auch die Bankenunion.

Eine große Zahl von Abgeordneten spricht sich dafür aus, bei der Kapitalmarktunion endlich mit konkreten Schritten voranzukommen, um mehr privates Kapital zu mobilisieren?

Ich bin da dezidiert anderer Ansicht. Die durch die strikten Schuldenregeln verursachte Flucht weg aus öffentlichen Investitionen hin zu privaten Investitionen birgt unglaubliche Risiken, die wir ja schon 2008 gesehen haben. Die Auswirkungen waren eine ganze Reihe schwerer Krisen.

Heißt das, Sie sprechen sich beispielsweise auch gegen regulatorische Erleichterungen aus, die den Verbriefungsmarkt wiederbeleben sollen?

Die Debatte über die Wiederbelebung von hochriskanten Kapitalmarktprodukten wie etwa immobilienbesicherten Verbriefungen, die ja der Auslöser der Finanzkrise waren, erscheint mir verrückt. „Privat statt Staat“ ist abenteuerlich, insbesondere angesichts des langjährigen Versagens von Märkten. Es muss vielmehr darum gehen, das Risiko wieder aus den Instrumenten herauszunehmen.

Sie hatten das Stichwort Bankenunion genannt: Wie will die Linke Europas Bankenmarkt stärken?

Wir müssen überlegen, wie wir vor allem regionale Kreisläufe und mittelständische Firmen stärken. Die Geschäftsmodelle von Sparkassen und Volks- und Raiffeisenbanken müssen verteidigt werden – etwa in Zusammenhang mit den geplanten Regeln zu Krisenmanagement und Einlagensicherung. Wir werden sehr genau darauf achten, dass die Struktur regionaler Banken durch die Irrungen und Wirrungen der nächsten Zeit kommt. Und wir müssen außerdem darüber nachdenken, wie wir Investment Banking und Retail Banking in den Instituten trennen können.

Genau das haben die EU-Gesetzgeber ja bereits einmal versucht – und das Gesetzesvorhaben ist seinerzeit ausgerechnet im EU-Parlament gescheitert.

Ja, ich war damals sogar als Schattenberichterstatter an den Beratungen beteiligt. Ich sehe natürlich, dass es angesichts der Zusammensetzung des Econ schwierig werden dürfte, für einen neuen Anlauf in Sachen Trennbanken eine Mehrheit zu gewinnen. Aber es wird in unseren Diskussionen rund um Banken- und Kapitalmarktunion eine Rolle spielen. Und an diesen Stellen wird die Linke entsprechende Änderungsanträge einbringen, um das Thema eines sicheren Bankensystems zu forcieren.

Gibt es andere Themen, die Sie besonders beschäftigen?

Ja, ich beobachte die politische Debatte über Ausnahmeregeln für die Rüstungsindustrie. Ich finde es absurd, Rüstung das Label der Nachhaltigkeit zu verleihen. Dazu braucht man ebenso viel Fantasie wie für die genauso wenig nachvollziehbare Kategorisierung von Atom und Gas als saubere, nachhaltige Energieträger.

Noch ein Wort zu ESG: Wie bewerten Sie die Vorarbeiten für eine soziale Taxonomie? Wäre die aus Ihrer Sicht überhaupt hilfreich?

Die Idee der Taxonomie fand ich am Anfang sehr interessant, weil es wichtig ist, Anreize zu schaffen, um Transformation zu unterstützen. Das Problem waren die Ausnahmen und der Entwurf, der schließlich vorgelegt wurde. Die Idee ist darin ad absurdum geführt worden. Was nun die soziale Taxonomie betrifft: Investitionen in die soziale Infrastruktur und der Ausbau der Daseinsvorsorge gehören nicht in private Hände. Da scheiden sich die politischen Perspektiven. Die weitere Privatisierung öffentlicher Aufgaben wird von mir nicht unterstützt.

Das Interview führte Detlef Fechtner.

Das Interview führte Detlef Fechtner.

Das Interview führte Detlef Fechtner.

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