Geldpolitik

War die Zinssenkung der EZB die richtige Entscheidung?

Die EZB hat vergangene Woche ihre Geldpolitik abermals gelockert. Nicht alle Ökonomen begrüßen das und auch im EZB-Rat gibt es kritische Stimmen. Die Beurteilung der Geldpolitik hängt eng mit der Einschätzung zu den Folgen der US-Zölle zusammen.

War die Zinssenkung der EZB die richtige Entscheidung?

Die EZB hat am Donnerstag bereits zum siebten Mal seit Juni 2024 die Leitzinsen gesenkt. Nicht alle sind mit der Entscheidung einverstanden. Die Ökonomen Carsten Brzeski und Volker Wieland legen dar, weswegen sie die erneute Lockerung befürworten beziehungsweise kritisieren.

Volker Wieland: Kein Anlass für eine negative reale Verzinsung

US-Präsident Donald Trump schwingt den Zollhammer. Die Aktienpreise stürzen ab. Der Dollar verliert massiv an Wert. Der Vorsitzende der US-Notenbank, Jerome Powell, wird von Trump als „Oberverlierer“ beschimpft, der endlich wie die EZB die Zinsen senken solle. Tatsächlich hat die EZB die Leitzinsen bereits drei Mal gesenkt seit Trump an der Zollschraube dreht, insgesamt 75 Basispunkte seit Dezember.

Volker Wieland ist Geschäftsführender Direktor des Institute for Monetary and Financial Stability an der Goethe-Universität Frankfurt und ehemaliger Wirtschaftsweiser. Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress | Frederic Kern/Geisler-Fotopress

Im selben Zeitraum ist die Inflation gemäß Harmonisierten Verbraucherpreisindex nur um 20 Basispunkte, von 2,4 auf 2,2% gefallen. Ohne die Energiepreise sind es noch 2,5%. Der relevante Zins für den Geldmarkt, der Zins auf Einlagen bei der EZB, liegt bereits darunter bei 2,25%. Die Fed dagegen verharrt seit Dezember bei einer Untergrenze von 4,25% für den sogenannten Zins auf Federal Funds. Seit Sommer macht die Zinsreduktion nur einen Prozentpunkt aus—im Vergleich zu 2,25 Prozentpunkten bei der EZB.

Das Argument der Nachfragewirkung greift zu kurz

Begründet wird die gegenläufige Geldpolitik damit, dass die US-Zölle Importpreise und Inflation in den USA nach oben treiben, während sie die Nachfrage nach europäischen Gütern bremsen, was die Inflation im Euroraum weiter sinken lassen dürfte. Auf diesen Nachfrageeffekt hat EZB-Präsidentin Lagarde wiederholt verwiesen. Aber es handelt sich um eine Prognose. Die tatsächliche Entwicklung kann anders ausfallen.

Eine Eskalation mit Gegenzöllen wie in China würde hierzulande die Inflation befördern. Bereits jetzt halten Unternehmen überall auf der Welt inne, um ihre Lieferketten neu zu planen. Wenn der weltweite Handel mit Zwischengütern zurückgeht, dann sinkt der Spezialisierungsgrad und die Produktivität. Es folgen höhere Preise und weniger Produktion. Das Argument von der preissenkenden Nachfragewirkung greift zu kurz.

Die Verbraucherpreise, die in der EZB- und Fed-Strategie zentral sind, beinhalten viele importierte Güter und Dienstleistungen.  Sie sind besonders stark vom Zollstreit und der Unsicherheit über die Handelspolitik und ihre Konsequenzen betroffen. Die Notenbanken sollten ihre Politik deshalb an der inländischen Inflation ausrichten. Ein breites Maß ist der BIP-Deflator, der Investitionsgüter, Bau und staatlich bereitgestellte Güter und Dienstleistungen einschließt, aber die Importpreise herausrechnet. Demnach lag die inländische Inflation zuletzt praktisch gleichauf, bei 2,5% im Euro-Raum und 2,4% in den USA im 4. Quartal 2024. Daraus folgt kein Anlass, die reale Verzinsung am Geldmarkt ins Negative zu treiben. Eine Zinspause wäre bereits vor Ostern sinnvoll gewesen. Zumindest jetzt sollte die EZB die Pausetaste drücken.  


Carsten Brzeski: Mehr als nur eine vertrauensbildende Maßnahme

Nach dem EZB-Treffen im März sah es noch stark nach einer Zinspause im April aus. Dass es dazu nicht gekommen ist, hat vor allem mit Donald Trump zu tun. Und, nein, die Leitzinssenkung der EZB vom vergangenen Donnerstag wird nicht den Handelsstreit beenden, sie ist aber mehr als nur eine vertrauensbildende Maßnahme in Zeiten hoher Unsicherheit.

Ist die EZB vor den Finanzmärkten und Donald Trump eingeknickt? Sind wir wieder zurück in den Zeiten von Mario Draghi, in denen die EZB versuchte mit immer größeren und weiterreichenden Schritten, die Finanzmärkte zu beruhigen? Nein, sind wir nicht. Die Zinssenkung war eine dringende Notwendigkeit angesichts steigender disinflationärer Risiken.

Carsten Brzeski ist Chefökonom der ING. Foto: ING

Die Konjunktur der Eurozone läuft schon seit einigen Quartalen sehr stockend und der Inflationsdruck nimmt langsam ab. Auch ohne Donald Trump hätte der sich abkühlende europäische Arbeitsmarkt in diesem Jahr positiv für die weitere Inflationsentwicklung bemerkbar gemacht. Wenn dann auch noch neue negativen Risiken auftauchen, ist es für die EZB mehr als sinnvoll, die Geldpolitik weiter zu normalisieren. Die US-amerikanischen Zölle auf europäische Güter werden in der Eurozone erneut Wachstum kosten. Anstelle eines Aufschwungs steht für die Eurozone also weiterhin eher Stagnation auf dem Programm.

Geldpolitik sollte nicht zum Störfaktor werden

Damit aber nicht genug. Die gefallenen Ölpreise und der schwächere Dollar sind zwei wichtige Faktoren, die den Inflationsdruck in der Eurozone weiter abschwächen werden. Der handelsgewichtete Euro hat mittlerweile den höchsten Stand seit Einführung des Euros erreicht. Damit steigt das Risiko, dass die Inflationsrate schon dieses Jahr wieder unter 2% fallen könnte und nicht erst im Herbst 2026, wie von der EZB noch im März prognostiziert.

Donnerstag war kein neues „whatever it takes“, sondern ein gut abgemessener Schritt, der dafür sorgt, dass die Geldpolitik nicht auch noch zum Störfaktor in Europa wird. Es gibt aktuell schon genug andere Störfaktoren.

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