Ukraine-Krieg

Putins folgenschwere Fehlkalkulation

Russland steuert wegen der Sanktionen auf eine schwere Finanz- und Wirtschaftskrise zu. Ratingagenturen reagieren bereits. Der Kreml versucht zu kontern. Und IWF und Weltbank warnen vor schlimmen Verwerfungen.

Putins folgenschwere Fehlkalkulation

rec Frankfurt

Mit jedem Tag des Kriegs gegen die Ukraine steht Russland isolierter da – politisch, wirtschaftlich und an den Kapitalmärkten. Der Kreml versucht zu kontern: Als Reaktion auf Sanktionen hat Moskau Kapitalverkehrskontrollen ausgeweitet und Zinszahlungen an Anleihegläubiger aus dem Ausland gestoppt. Internationaler Währungsfonds (IWF) und Weltbank warnen vor schlimmeren Verwerfungen auf den Finanzmärkten. Ratingagenturen bewerten die Lage für Russland und die Ukraine beinahe täglich neu – und reagieren mit Herabstufungen.

Russland wird zum Paria

All dies spielt sich vor dem Hintergrund einer offenbar eklatanten Fehlkalkulation auf russischer Seite über die Invasion ab. Regierung und Militär in Moskau, mutmaßen Beobachter, waren von einer Art Blitzkrieg ausgegangen, der die politischen und wirtschaftlichen Folgen für das eigene Land in Grenzen hält. Dieses Kalkül ist nicht aufgegangen. Militär und Bevölkerung in der Ukraine leisten enormen Widerstand, auch zum Erstaunen westlicher Experten. Es kommen immer neue Sanktionen hinzu. Und die Liste von Unternehmen, die Russland unter Schock den Rücken kehren, wird immer länger.

Militärexperten befürchten nun einen zähen Guerillakrieg in Ortschaften und Städten. Für Commerzbank-Devisenexperte Ulrich Leuchtmann wird Russland dadurch „mehr und mehr zum Paria dieser Welt“. Für Leuchtmann zeigt sich dies etwa darin, dass es keine Rubel-Wechselkurse mehr gebe „in dem Sinn, dass zu diesen Kursen ein normaler Austausch von Rubel gegen andere Währungen stattfindet“. Der Rubel weitete seine Verluste am Mittwoch aus.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat den Absturz des Rubel ausdrücklich begrüßt. Frankreichs Finanzminister Bruno le Maire sprach von einem „umfassenden Wirtschafts- und Finanzkrieg gegen Russland“. Nach einer scharfen Replik von Russlands Ex-Präsident Dmitri Medwedew relativierte Le Maire seine harsche Rhetorik laut Agenturberichten – offenkundig aus Sorge vor einer weiteren Eskalation.

So oder so zeichnet sich eine schwere Wirtschafts- und Finanzkrise in Russland ab. Der Kreml bezeichnete die Sanktionen am Mittwoch als schweren Schlag für die Wirtschaft. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte laut der russischen Nachrichtenagentur Interfax, Russland habe Polster, um die Folgen abzufedern.

Die Ratingagentur Scope hat Russlands Länderrating auf „BB+“, also Ramsch, herabgestuft. Begründung: „Die beispiellosen Maßnahmen“ – gemeint sind Wirtschafts- und Finanzsanktionen von USA, EU, Großbritannien und Co. – „haben erhebliche negative Auswirkungen auf das russische Bankensystem und werden die Wirtschaft des Landes und seine Fähigkeit, den Schuldendienst pünktlich zu leisten, schwer beeinträchtigen.“ Die Kollegen von Moody’s mahnen, die Gefahr einer Herabstufung von Russlands Bonität sei gestiegen. In einem Bericht verweist Moody’s auf die Entscheidung Russlands, neue Schulden in Fremdwährungen nicht mehr zu bedienen, und auf das Verbot für die Bevölkerung, größere Beträge in Fremdwährungen ins Ausland zu überweisen.

Ab sofort dürfen Bürger nicht mehr als 10000 Dollar pro Kopf aus Russland ins Ausland transferieren. Das geht aus einem von Präsident Wladimir Putin unterzeichneten Dekret hervor, über das die Nachrichtenagentur Reuters berichtet. Außerdem hat die russische Zentralbank Kouponzahlungen an Inhaber russischer Staatspapiere im Ausland eingestellt. Der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge geht es um auf Rubel denominierte Schuldscheine im Wert von umgerechnet 29 Mrd. Dollar. Der zeitlich unbefristete Bann trifft eine Reihe großer Vermögensverwalter. Laut Bloomberg-Daten hält die Allianz entsprechende Papiere im Wert von 2,2 Mrd. Dollar, gefolgt von Blackrock mit rund 1 Mrd. Dollar.

Moskau will mit diesen Maßnahmen den Abfluss von Kapital stoppen und den Rubel stützen. Die Zentralbank ist dazu nur noch sehr eingeschränkt in der Lage, seit andere Staaten beträchtliche Teile der russischen Währungsreserven eingefroren haben. Zentralbankchefin Elwira Nabiullina räumte dies ein, nachdem die Notenbank den Leitzins zu Wochenbeginn auf 20% mehr als verdoppelt hatte. Groben Schätzungen zufolge könnte rund die Hälfte der russischen Währungsreserven durch die Sanktionen blockiert sein.

Unterdessen stellten IWF und Weltbank der Ukraine milliardenschwere Finanzhilfen in Aussicht. Über Notfallfinanzierungen könne bereits nächste Woche entschieden werden, hieß es beim IWF. Die Weltbank peilt nach eigener Auskunft ein 3 Mrd. Dollar schweres Hilfspaket für die Ukraine an und will daraus diese Woche eine erste Tranche über 350 Mill. Dollar freigeben. In einer gemeinsamen Erklärung schrieben die Chefs von IWF und Weltbank, Kristalina Georgiewa und David Malpass: „Verwerfungen auf den Finanzmärkten werden sich verschlimmern, sollte der Konflikt anhalten.“

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