WAHLPROGRAMME UND KANDIDATEN AUF DEM PRÜFSTAND - BUNDESTAGSWAHL 2017

Regulierung bleibt auf der Agenda der Parteien

Eine Dekade nach der Krise nimmt die Finanzmarktpolitik in den Wahlprogrammen aber weniger Raum ein - Zurück zu Normalität

Regulierung bleibt auf der Agenda der Parteien

Stand die Finanzmarktpolitik bei den Bundestagswahlen 2009 und 2013 noch im Zentrum politischer Debatten, ist sie 2017 wieder auf ihre frühere Nebenrolle zurückgefallen. Vor allem aber liegen die Vorstellungen der Parteien und die Wünsche der Branche an eine neue Bundesregierung weit auseinander.Von Angela Wefers, BerlinEine Dekade nach der Finanzkrise hat sich die verhärtete Atmosphäre zwischen Politik und Finanzbranche gelockert. Es herrscht wieder ein Normalton. Branchenvertreter und Lobbyisten können in Berlin leichter ihrer Arbeit nachgehen, auch wenn sich noch Nachwehen des verspielten Vertrauens zeigen. Der Umgangston war viele Jahre schärfer, nachdem sich die Politik von den windigen Verbriefungsgeschäften der Finanzmarktakteure vorgeführt fühlte, mit denen sich die Branche fast selbst ruiniert hatte. Der Ärger saß tief. Mit Steuergeldern musste die Regierung den Finanzsektor stabilisieren, um Schlimmeres abzuwenden – und dem Steuerzahler Rechenschaft ablegen, obwohl sie sich nicht als Verursacher fühlte.Einig waren sich bei den beiden vorausgegangenen Bundestagswahlen deshalb alle Parteien: Der Finanzmarkt und die Akteure brauchen mehr Kontrolle und stärkere Regulierung. Die Wahlprogramme waren voll davon. Das Prinzip der Verknüpfung von Entscheidung und Haftung musste wieder Geltung erlangen, um die implizite Staatshaftung aufzulösen. Viel hat der Gesetzgeber seitdem geschaffen. Die europäische Bankenunion steht mit einer übergreifenden Bankenaufsicht und einem – noch unerprobten – Abwicklungssystem. Eigentümer und Gläubiger haften nach dem Bail-in-Prinzip, bevor der Staat eventuell einspringt. Offen sind noch die neuen Vorgaben des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht. Das Thema Schattenbanken spielt international noch eine Rolle. Zurück in der NebenrolleDie Normalisierung des Umgangs zwischen Politik und Finanzbranche spiegelt sich 2017 auch in den Wahlprogrammen. Die Finanzmarktpolitik ist wieder auf ihre frühere Nebenrolle zurückgefallen und nimmt keinen prominenten Platz mehr ein. Noch in den 1990er Jahren und nach der Jahrtausendwende war sie eher etwas für eine Handvoll Spezialisten im Parlament gewesen, auf die sich der Rest der Truppe verließ. Die Zeichen standen damals auf Deregulierung, um international wettbewerbsfähig mit den USA und dem Finanzplatz London zu bleiben.Trotz der verringerten Bedeutung der Finanzmarktpolitik ist vom Ende der Regulierungswut in den Parteien dennoch wenig zu spüren. Im Wahlprogramm von CDU/CSU kommt das Wort “Finanzmarkt” nur genau einmal vor – verknüpft mit der Erkenntnis, dass Deutschland nur als “wettbewerbsfähiger Finanzplatz” auch “weiterhin aktiv die Regulierung der internationalen Finanzmärkte mitgestalten” kann. Auch die FDP hält die Passage zum Finanzmarkt im Wahlprogramm knapp. Sie macht sich für eine konsequente Anwendung des Bail-in beim Abwicklungsmechanismus stark, ein Punkt, der bei jüngsten Bankenschieflagen in Südeuropa nicht beherzigt worden war. Als einzige Partei bezieht sie im Wahlprogramm dezidiert Stellung gegen eine “Vergemeinschaftung der Einlagensicherung im europäischen Raum”. Damit trifft die FDP einen zentralen Punkt auf der Wunschliste der Verbände der Kreditwirtschaft an die neue Bundesregierung. Lust auf TrennbankensystemDie SPD setzt auf “klare Regeln für die Finanzwirtschaft” und sieht Deutschland in der Rolle, “international die treibende Kraft bei der Kontrolle und Aufsicht der Finanzmärkte” zu werden. Zentrale Forderungen der Partei sind die Trennung von Geschäfts- und Investmentbank, die Einführung einer Verschuldungsquote für Banken sowie “verbindlicher Eigenkapitalanforderungen und einer Aufsicht” für “Hedgefonds und andere Schattenbanken” sowie eine Aufsicht über den anonymen Handel von Finanzprodukten in Dark Pools. Auch ein paar Ladenhüter hat die SPD im Programm, die längst in der EU oder national umgesetzt sind: die Forderung nach Einführung des Bail-in-Prinzips bei Banken in Schieflagen, die Regulierung des unbesicherten Over-the-Counter-Derivatehandels sowie die Trennung der Risikobewertung und Beratung bei Ratingagenturen.Die Grünen konstatieren eine erneute Aufblähung des Finanzmarkts – und sehen dies mit Sorge. Eine “noch bessere” Regulierung soll die Finanzmärkte in eine dienende Rolle für die Gesellschaft und die sogenannte Realwirtschaft zwingen, um Investitionen in die Volkswirtschaft zu lenken und den Menschen “vernünftige Geldanlagen” zu ermöglichen. Auch die Grünen sind für eine Schuldenbremse für Banken, strengere Regeln für Schattenbanken und für das Trennbankensystem mit der “Ultima Ratio einer Entflechtung”. Sie setzen sich zudem für ein Vertriebsverbot “schädlicher und intransparenter” Anlageprodukte ein. “Banken verstaatlichen”Extremere Positionen beziehen die Linke und die AfD. Die Linke will Großbanken verstaatlichen, um den Finanzsektor auf “gesellschaftlich sinnvolle Kernaufgaben” wie Kreditvergabe und Zahlungsverkehr für die Realwirtschaft zu konzentrieren. Das Investment Banking will sie abwickeln und einen Finanz-TÜV einführen. Zudem verlangt sie ein kostenloses Konto für jedermann und einen Zinsdeckel bei Dispokrediten. Die AfD lehnt die europäische Bankenunion ab. Die Haftung deutscher Banken soll auf die nationale Ebene beschränkt bleiben. Zudem wendet sich die AfD “gegen jegliche Versuche der europäischen Vergemeinschaftung von Haftungsrisiken, insbesondere aus Bankgeschäften”.Neben der Sorge vor einer Vergemeinschaftung der Einlagensicherung in der EU hofft die Finanzbranche auf eine Evaluierung der Regulierung und auf Proportionalität bei der Regulierung. Kleine und mittlere Banken sollen nicht bürokratisch überbelastet werden. Die Programme der Parteien sprechen indessen eine andere Sprache. Nur SPD und Grünen greifen diesen Punkt zart auf. Auch das zentrale Anliegen des Kreditsektors, die Bankenabgabe – wie in anderen EU-Ländern – steuerlich als Betriebsausgabe absetzen zu dürfen, findet keinen Widerhall. Zudem droht den Banken noch mehr Unheil: CDU/CSU und SPD kündigen das Ende der pauschalen Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge und die Rückkehr zur individuellen Besteuerung an. Die Finanztransaktionssteuer bleibt ein Dauerbrenner. CDU/CSU, SPD und Grüne halten daran fest.