Konjunktur

Rückgang der Euro-Inflation heizt EZB-Spekulationen an

Die Euro-Inflationszahlen für November waren mit besonderer Spannung erwartet worden. Die Euro-Notenbanker hatten ihre ungewöhnlich große Relevanz für den weiteren Kurs betont. Was bedeutet der jetzt gemeldete Rückgang für den EZB-Zinskurs?

Rückgang der Euro-Inflation heizt EZB-Spekulationen an

ms Frankfurt

Ein überraschend deutlicher Rückgang der Inflation im Euroraum im November hat Spekulationen befeuert, dass die Europäische Zentralbank (EZB) bei ihrer Sitzung Mitte Dezember das Tempo ihrer Zinserhöhungen drosselt. Die Teuerungsrate ging von zuvor 10,6% auf 10,0% zurück, wie Eurostat am Mittwoch in einer ersten Schätzung mitteilte. Beobachter hatten im Mittel nur einen Rückgang auf 10,4% erwartet. Nach Ansicht vieler Ökonomen und Marktteilnehmer steigt damit die Wahrscheinlichkeit, dass der EZB-Rat am 15. Dezember die Leitzinsen nur um 50 Basispunkte statt wie zuletzt zweimal in Folge um 75 Basispunkte anhebt.

Die neuen Inflationsdaten waren mit besonderer Spannung erwartet worden, weil viele Euro-Notenbanker deren Bedeutung für die wegweisende Sitzung im Dezember unterstrichen hatten. Anders als sonst üblich, orientiert sich die EZB nun sehr viel stärker an der aktuellen Inflation als primär an vorausschauenden Indikatoren und Modellen. Hintergrund dafür ist, dass die Inflationsprognosen die tatsächliche Preisentwicklung kolossal unterschätzt haben und die Sorge wächst, dass sich die hartnäckig hohe Inflation über eine neue „Inflationsdenke“ der Menschen verfestigt.

Nach langem Zögern hatte die EZB im Juli mit einer Anhebung um 50 Basispunkte die Zinswende eingeleitet und im September und Oktober mit je 75 Punkten nachgelegt. Zinserhöhungen um 75 Punkte hatte es zu­vor noch nie gegeben, und auch die insgesamt 200 Basispunkte seit Juli sind beispiellos. Die Euro-Inflation hatte dann im Oktober mit 10,6% erstmals die 10-Prozent-Marke geknackt. Zugleich wächst aber die Rezessionsgefahr. Deswegen ist der weitere Zinskurs im EZB-Rat heiß umstritten. In den vergangenen Tagen hatten sich verstärkt unterschiedliche Sichtweisen zu Inflation und Zinsen in der EZB offenbart.

Die neuen Inflationsdaten stärken nun tendenziell die Position jener, die für eine langsamere Gangart bei den Zinserhöhungen plädieren. Das sind insbesondere die Zentralbankchefs aus den südlichen Euro-Ländern. Der Rückgang gegenüber den 10,6% im Oktober ist der stärkste seit 2020. Er beruht im Wesentlichen auf einem langsameren Wachstum der Kosten für Energie und Dienstleistungen, wobei die Lebensmittelpreise schneller stiegen. „Nachdem die Inflation im November etwas gesunken ist und sich der Einlagensatz schon nahe an dem oft bei 2% geschätzten neutralen Niveau befindet, werden viele Ratsmitglieder in der nächsten Sitzung für einen kleineren Zinsschritt von nur noch 50 Basispunkten plädieren“, sagte KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib.

Allerdings bieten die neuen Daten auch den Hardlinern im EZB-Rat Argumente für ihre Forderungen nach einem weiter aggressiven Kurs. So liegt die Teuerung mit 10,0% immer noch fünfmal höher als das EZB-Inflationsziel von 2%. Und je länger die Inflation derart hoch liegt, desto größer ist die Gefahr, dass die Inflationserwartungen außer Kon­trolle geraten und etwa eine gefährliche Lohn-Preis-Spirale in Gang kommt. Zudem verharrte die sogenannte Kernrate ohne Energie und Lebensmittel im November auf ihrem Rekordhoch von 5,0%. Sie gilt als besserer Gradmesser für den zugrunde liegenden Preisdruck, auch wenn EZB-Chefvolkswirt Philip Lane ihre aktuelle Aussagekraft unlängst in Zweifel gezogen hat. Jüngste Kommentare von Lane und EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel hatten sinnbildlich gestanden für zunehmende Differenzen im EZB-Rat über die Inflationsdynamik und die nötige geldpolitische Reaktion.

Ex-EZB-Chef Trichet warnt

Der ehemalige EZB-Präsident Jean-Claude Trichet sieht die anhaltend hohe Inflation im Euroraum unterdessen mit Sorge. „Ich bin besorgt. Die Inflation muss unbedingt wieder unter Kontrolle gebracht werden“, sagte Trichet der Deutschen Presse-Agentur. „Wir haben in den 1970er Jahren eine Phase erlebt, in der wir die Kontrolle über die Inflation verloren haben. Wir wissen, was es kostet, die Kon­trolle über die Inflation zu verlieren. Das müssen wir vermeiden.“

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