GastbeitragFiskalpolitik

Rückkehr zu nachhaltiger US-Finanzpolitik nötig

Die USA haben an den Finanzmärkten eine Sonderstellung und nutzen diese offensichtlich finanzpolitisch aus. Dennoch droht die hohe Staatsverschuldung zu einem Problem zu werden. Nicht nur, weil die Zinsausgaben der USA ungefähr auf dem Niveau der Verteidigungsausgaben liegen.

Rückkehr zu nachhaltiger US-Finanzpolitik nötig

Wie lange kann die Schuldenpolitik der USA gutgehen? In wirtschaftlich normalen Zeiten und bei herkömmlicher Geldpolitik würde die US-Staatsschuldenquote von rund 120% des BIP längst als bedenklich gelten. Zudem: Mit jährlichen Defiziten von über 5% bleibt die Finanzpolitik anhaltend expansiv – ganz so, als seien neue Schulden immer noch zum Nulltarif zu machen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Zinsen sind am kurzen wie am langen Ende in die Höhe geschossen. Bei zehnjährigen US-Staatsanleihen ist der Zins vom Tiefpunkt bei rund 0,5% auf über 4% gestiegen. Die Finanzierungsbedingungen haben sich verschärft.

Jörn Quitzau ist Chefvolkswirt der Bergos Privatbank.
Berenberg

Erschwerend kommt hinzu: Der amerikanische Staat ist vergleichsweise kurzfristig finanziert. Die durchschnittliche Restlaufzeit der US-Staatsanleihen liegt bei 5,8 Jahren (Durchschnitt der G7-Länder: 7,0 Jahre). Je kürzer die Restlaufzeit, desto schneller werden die fällig werdenden Staatsanleihen durch höher verzinste Papiere anschlussfinanziert. Die gestiegenen Zinsen fressen sich nach und nach in den Staatshaushalt.

Explodierende Zinsausgaben

US-Finanzministerin Janet Yellen bekommt es bereits zu spüren. Die Zinsausgaben haben sich in den letzten beiden Jahren ungefähr verdoppelt. Sie liegen nun ungefähr auf dem Niveau der amerikanischen Verteidigungsausgaben. Das Problem der teureren Finanzierung trifft nicht allein die USA. Die OECD hat im „Global Debt Report 2024“ darauf hingewiesen, dass in den nächsten drei Jahren 40% der globalen Staatsschulden fällig werden. Die Anschlussfinanzierung mit höheren Zinsen wird für viele Finanzminister zum Problem.

Während der Niedrigzinsphase ließen sich auch hohe Schuldenstände gut stemmen. Das ändert sich nun. Und trotzdem erfreuen sich kreditfinanzierte Staatsausgaben noch immer großer Beliebtheit, insbesondere in den USA. Das dürfte auch daran liegen, dass für die weltgrößte Volkswirtschaft die üblichen Disziplinierungsinstrumente (Zinsen, Kreditratings, Prämien für Kreditausfallversicherungen), die für Investoren gleichzeitig eine Frühwarnfunktion haben, nicht recht funktionieren. Das Land mit dem riesigen Kapitalmarkt ist „Too big to fail“ und „Too interconnected to fail“.

Dilemma für Investoren

Worin besteht der Unterschied zwischen kleineren Ländern und den USA? Aus kleineren Ländern, denen eine Schuldenkrise drohen könnte, ziehen vorsichtige Investoren ihr Geld nach und nach ab. Das führt zu einem Zinsanstieg, weil neue Investoren höhere Risikoprämien verlangen. Der Zins diszipliniert die Regierungen beim Geldausgeben. Er dient gleichzeitig als Frühwarnindikator. Würden Investoren das Vertrauen in die Rückzahlungsfähigkeit der USA verlieren, gelten prinzipiell ähnliche Überlegungen. Es wäre naheliegend, US-Staatsanleihen zu verkaufen und in Staatsanleihen finanzpolitisch soliderer Länder auszuweichen. Der Unterschied ist: Im Ernstfall könnten die solideren Länder von den großen USA mit in den Abwärtsstrudel gezogen werden. Wenn es sowieso kein Entrinnen gibt, kann es für Investoren rational sein, in US-Staatsanleihen investiert zu bleiben, selbst wenn sie der Finanzpolitik nicht mehr vollständig über den Weg trauen.

Auch Ratingagenturen stecken in einem Dilemma. Wie könnten sie das Rating der USA angesichts der „Too interconnected to fail“-Problematik herunterstufen? Wankt die weltgrößte Wirtschaftsmacht, dann wankt aufgrund der Ansteckungseffekte auch der Rest der Welt. Eine isolierte Herabstufung der USA ist kaum möglich. Mehr als symbolische Downgradings sind deshalb unwahrscheinlich.

USA nutzen Sonderstellung aus

Die Amerikaner sind sich ihrer Sonderstellung bewusst. Sie nutzen sie finanzpolitisch offensichtlich aus. Zu sicher dürfen sich die USA aber auch nicht sein. Investoren aus dem Ausland könnten sich bei einem schwächelnden Dollar aus US-Staatsanleihen verabschieden, um Wechselkursverluste zu vermeiden. Die US-Regierung käme unter Handlungsdruck und müsste den Haushalt konsolidieren. Da dies Zeit braucht, würde die Notenbank zunächst wohl erneut Staatsanleihen kaufen, um einen zu raschen Zinsanstieg zu verhindern und die Finanzmärkte zu beruhigen.

Das damit einhergehende Inflationspotenzial würden die Amerikaner in Kauf nehmen, zumal durch Inflation die reale Schuldenlast sinkt. Während der jüngsten Inflationsepisode ist die US-Schuldenquote von 132% auf 120% gesunken. Inflation pumpt das nominale BIP, an dem die Schuldenquote gemessen wird, auf. Die Steuereinnahmen steigen unmittelbar wegen der Umsatzsteuer, die auf die höheren Preise anfällt. Zeitverzögert steigen allerdings auch die Ausgaben des Staates, weil die Gehälter im öffentlichen Dienst oder die Sozialleistungen an die höheren Preise angepasst werden. Auch die Sachausgaben werden höher. Kurzfristig lässt sich ein Teil der Schulden aber weginflationieren. Es ist keine nachhaltige Lösung, doch sie bringt Zeit.

Längerfristig müssen die USA und andere Länder zu einer soliden Wirtschafts- und Finanzpolitik zurückkehren. Ansonsten besteht das Risiko, dass das Vertrauen in das Finanzsystem verloren geht, mit einer Flucht der Anleger in Sachwerte und Krypto-Assets. So weit sollte es die Wirtschaftspolitik nicht kommen lassen.

Rückkehr zu nachhaltiger US-Finanzpolitik nötig

Jörn Quitzau

Chefvolkswirt der Bergos Privatbank