Diplomatie und Handelspolitik

Sanktionen werden überschätzt

Sanktionen und Handelsrestriktionen sind derzeit in aller Munde. Doch die wirtschaftlichen Auswirkungen fallen womöglich nicht so aus wie von den jeweiligen Staaten erhofft.

Sanktionen werden überschätzt

Sanktionen werden überschätzt

Effekte der Strafmaßnahmen noch relativ wenig erforscht – Auswirkungen auf Russland vermutlich gering

Nicht nur durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sind Sanktionen und Restriktionen weit verbreitete staatliche Methoden. In 12% aller bilateralen Beziehungen zwischen Ländern macht mindestens eine der beiden Seiten davon derzeit Gebrauch. „Sanktionen sind ein Schlüsselinstrument der modernen Diplomatie“, meint daher Arne Nagengast, Ökonom bei der Bundesbank. Dennoch steht die Forschung zu den wirtschaftlichen Effekten von Sanktionen noch relativ am Anfang, wie eine gemeinsame Konferenz von EZB und Fed in Frankfurt veranschaulichte.

Dies liegt nicht zuletzt an den zahlreichen Wechselwirkungen, die Sanktionen und Gegensanktionen auf die beteiligten Länder, aber auch auf Drittstaaten haben. So beeinflussen Finanzsanktionen der USA dadurch, dass der Dollar weiterhin die internationale Leitwährung ist, nicht nur die Staaten negativ, die das Weiße Haus damit treffen will.

Überschätzte Auswirkungen

Dennoch hält Gabriel Felbermayr, Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo), die Auswirkungen von Sanktionen in nicht wenigen Fällen für geringer als allgemein erwartet. „Die Möglichkeit von Substituten wird unterschätzt“, sagt Felbermayr. Er verweist als Beispiel auf die Gasversorgung für Europa. Deutlich besser als gedacht konnten Deutschland und andere europäische Staaten Ersatz für die wegfallenden Importe aus Russland ausfindig machen. Das minimierte den wirtschaftlichen Effekt des russischen Exportstopps.

Zudem sind die Forschungsergebnisse nicht eindeutig, ob Finanzsanktionen für sich genommen den Handel zwischen Staaten wesentlich reduzierten. „Es braucht aber einen Effekt auf den Verkehr von Waren und Dienstleistungen, damit die Sanktionen die Wirtschaft des sanktionierten Staates treffen“, sagt Felbermayr. Folgen auf erlassene Finanzsanktionen jedoch Handelssanktionen, so wirken sich diese laut dem Wifo-Direktor stärker aus, als wenn es die Strafmaßnahmen für Finanztransaktionen vorher nicht gegeben hätte.

Wann sind Sanktionen effektiv?

Dmitry Mukhin von der London School of Economics gibt zu bedenken, dass Russland womöglich nicht der beste Fall sei, um wissenschaftlich empirische Schlüsse für die Auswirkungen von Sanktionen zu ziehen. Russland sei abseits des Rohstoffhandels auch vor Ausbruch des Krieges wirtschaftlich international nicht besonders eng verflochten gewesen.

Isabel Vansteenkiste, Generaldirektorin der EZB für das Ressort „Internationale und europäische Beziehungen“, stellt zudem infrage, die Effektivität der Sanktionen gegen Russland anhand der wirtschaftlichen Auswirkungen zu messen. Schließlich sei das primäre Ziel nicht, die russische Wirtschaft zu schwächen, sondern den Krieg zu beenden. Womöglich gebe es Sanktionen, die in diese Richtung zielen, obwohl sie nur geringe Auswirkungen auf das russische Wirtschaftswachstum haben. So habe es Diskussionen in Europa gegeben, die Ausfuhr von Luxushandtaschen nach Russland zu untersagen. Dies treffe Russland zwar nicht wirtschaftlich, könnte aber zu Unmut bei Oligarchen und ihren Ehefrauen führen und so den innenpolitischen Druck auf den Präsidenten Wladimir Putin erhöhen.

Sanktionen senken Russlands Kriegstüchtigkeit kaum

Mehrere Wirtschaftsforschungsinstitute, darunter das Wifo, waren im Sommer in einer gemeinsamen Untersuchung zu dem Schluss gekommen, dass die Sanktionen des Westens die Kriegstüchtigkeit Russlands bislang nur wenig gesenkt haben. Dies liege auch daran, dass China, Indien und die Türkei Hürden im Handel mit Russland abgebaut haben, um möglichst stark von den geopolitischen Spannungen zu profitieren. Auch andere Ökonomen weisen darauf hin, dass die Sanktionen des Westens gegen Russland nur bedingt wirken – denn der Kreml findet oft Wege, die Strafmaßnahmen geschickt zu umgehen.

Sanktionen und Handelsrestriktionen sind derzeit in aller Munde. Das liegt nicht nur am russischen Angriffskrieg und dem Wahlsieg Donald Trumps in den USA. Die Anzahl der wirtschaftlichen Strafmaßnahmen ist weltweit hoch – doch die Auswirkungen fallen womöglich nicht so aus wie von den jeweiligen Staaten erhofft.

Von Martin Pirkl, Frankfurt
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