Scholz in Sorge wegen hoher Inflation
ms Frankfurt
In Deutschlands Politikelite wächst die Sorge wegen der hartnäckig hohen Inflation – und der Druck auf die Europäische Zentralbank (EZB) nimmt zu. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) äußerte sich jetzt sehr besorgt über die anhaltend starke Teuerung und deutete die Bereitschaft an, für weitere Entlastungen der Bürger zu sorgen. Finanzminister Christian Lindner (FDP) betonte die zentrale Rolle der EZB im Kampf gegen die Inflation. Derweil brachte der erste Euro-Notenbanker für die EZB-Sitzung im Juli eine Zinserhöhung gleich um 50 statt 25 Basispunkte ins Spiel.
Druck auf Politik und EZB
Die Inflation in Deutschland ist aktuell so hoch wie seit rund 40 Jahren nicht mehr. Im April lag die Teuerungsrate nach EU-harmonisierter Berechnung bei 7,8%. Im Euroraum sind es 7,5% – ein absoluter Rekordwert seit Einführung des Euro im Jahr 1999. Die starken Preissteigerungen stellen immer mehr Menschen vor große, teils existenzielle Probleme. Deshalb wächst der Druck auf die Politik, für mehr Entlastung zu sorgen, und auf die EZB, die im Vergleich zu anderen Notenbanken bislang sehr viel zaghafter auf die hohen Teuerungsraten reagiert.
Kanzler Scholz sagte nun am Montagabend bei RTL, er mache sich mit Blick auf die hohe Teuerung „wirklich Sorgen, dass es viele gibt, die, auch wenn sie dreimal jeden Cent umdrehen, trotzdem nicht gut zurechtkommen“. Die Regierung werde die Situation weiter beobachten und sei bereit, alle notwendigen Entscheidungen zu treffen, sagte Scholz. Jetzt gehe es aber vor allem darum, das aktuelle Entlastungspaket schnell durch die Gesetzgebung zu bringen. Dazu werde es ein beschleunigtes Gesetzgebungsverfahren geben, um noch vor dem Sommer fertig zu werden. Zu dem Paket gehören eine Einmalzahlung, ein Kindersofortzuschlag und Entlastungen bei den Stromkosten.
Kritiker haben Scholz zuletzt vorgehalten, das Thema Inflation nicht ernst genug zu nehmen. Sie sehen das als einen Grund für die schwere Niederlage der SPD bei der Landtagswahl am Sonntag. Laut Umfragen von Meinungsforschern gehörte das Thema Preisentwicklung und Inflation zu den für die Wähler wichtigsten Themen – auch wenn es mit der Landespolitik eher wenig zu tun hat.
Finanzminister Lindner begrüßte derweil in einem Interview mit mehreren europäischen Zeitungen, das am Dienstag veröffentlicht wurde, das mögliche Ende der EZB-Stimulierung. Die EZB hat avisiert, ihre billionenschweren Nettoanleihekäufe Anfang des dritten Quartals komplett einzustellen und dann mit Zinserhöhungen zu beginnen. Zugleich sagte Lindner: „Wenn es um die Inflation geht, kann die Schlacht nicht nur von der EZB gewonnen werden. Wir müssen die spezifische Situation des Euroraums berücksichtigen und die Frage, was jeder Mitgliedstaat auf nationaler Ebene tun kann, um den Inflationsdruck zu verringern.“
Lindner hatte bereits Anfang Mai vor einer sich verfestigenden Inflation durch eine Lohn-Preis-Spirale gewarnt und vor den anstehenden Tarifrunden an die Verantwortung der Gewerkschaften appelliert. Dass sich Preise und Löhne nun gegenseitig hochschaukeln und sich die Inflation so verfestigt, gilt vielen aktuell als größte Gefahr. In Deutschland hatte zuletzt vor allem die Empfehlung der Tarifkommission der IG Metall für eine Forderung nach 8,2% mehr Lohn in der nächsten Tarifrunde solche Sorgen befeuert. Der CDU-Wirtschaftsrat hatte die Forderung als Gift für die Konjunktur kritisiert.
Die Sorge vor einer Lohn-Preis-Spirale ist auch ein wesentlicher Grund, warum die EZB nach langem Zögern nun doch auch eine schnellere Zinswende in Aussicht stellt. Zuletzt hatte eine ganze Reihe Notenbanker inklusive EZB-Präsidentin Christine Lagarde die Erwartung an einen ersten Zinsschritt bei der Sitzung im Juli zementiert.
EZB-Ratsmitglied Klaas Knot rechnet für Juli mit einer Zinserhöhung um 0,25 Prozentpunkte. Diese Annahme erscheine ihm realistisch, sagte er am Dienstag. Falls Daten jedoch in den nächsten Monaten darauf schließen ließen, dass die Inflation auf noch breiterer Basis stehe oder zulege, sei ein größerer Zinsschritt nicht ausgeschlossen. „In diesem Fall wäre ein logischer nächster Schritt ein halber Prozentpunkt“, fügte er hinzu. Das heizte Zinsspekulationen an den Finanzmärkten kräftig an.