Zürich

Schulden sind Interpretationssache

Auch die sparsamen Eidgenossen häufen in der Coronakrise Schulden an. Über ihren Abbau wird nun rege diskutiert.

Schulden sind Interpretationssache

Der Zustand der Schweizer Staatsfinanzen zeugt zwar von einem Land, in dem Sparsamkeit eine große Tugend ist. Nach zwölf Monaten staatlichen Pandemie-Regimes ist aber klar, dass die Staatsverschuldung auch in der Schweiz nach 15 Jahren stetigen Rückganges steil nach oben schießt. Großzügige Kurzarbeitsentschädigungen, Härtefall-Hilfen, staatlich verbürgte und subventionierte Kredite und nicht zuletzt auch der im Zuge der Konsumbeschränkungen eingetretene Rückgang von Fiskalerträgen, etwa aus der Mehrwertsteuer, haben im vergangenen Jahr bereits deutlich sichtbar zu einer Zunahme der Schulden geführt.

Die Eidgenössische Finanzverwaltung schätzt die Kosten der Pandemie-Maßnahmen für den Bund, die Kantone und die Sozialversicherungen (einschließlich Arbeitslosenkasse) für das vergangene Jahr auf rund 17 Mrd. sfr oder 2,6% des Bruttoinlandproduktes. Für das laufende Jahr rechnet die Behörde mit weiteren Kosten in Höhe von 23 Mrd. sfr. (3,5% des BIP).

Nach diesen Hochrechnungen würde die staatliche Übernahme von Kosten und Risiken der Corona-Pandemie in der Schweiz zu einer Zunahme der Schuldenquote von 28% auf über 30% im laufenden Jahr führen. Gemessen an der durchschnittlichen Verschuldungsquote der Länder im Euroraum von weit über 100% ist die staatliche Schuldenquote der Eidgenossen aber immer noch sehr niedrig.

Trotzdem gibt es starke bürgerliche Kräfte in der Politik, die auf einen raschen Schuldenrückbau drängen. Bereits im Sommer des vergangenen Jahres erging in der großen Kammer des Parlaments, dem Nationalrat, ein Vorschlag, die jährliche Gewinnausschüttung der Nationalbank vollumfänglich auf den Rückbau der Coronaschulden zu verwenden. Doch inzwischen wird die Diskussion breiter geführt und es zeigt sich, dass ein radikaler Schuldenrückbau kaum mehrheitsfähig ist.

Gerne sähe man im gleichen Lager auch eine strengere Ausgabenpolitik. Doch der Umstand, dass gebundene Ausgaben für die soziale Wohlfahrt, den Verkehr oder die Bildung inzwischen zwei Drittel des Budgets darstellen, nimmt den Reiz.

Den linken Parteien gefällt die Idee höherer Unternehmenssteuern. Doch das werden die politischen Gegner kaum zulassen, zumal das Wahlvolk erst vor zwei Jahren eine große Unternehmenssteuerreform gutgeheißen hat. Ob eine Erhöhung der Mehrwertsteuer größere Chancen hat, ist mit Blick auf die vielen Vorstöße, die es in der Vergangenheit in diese Richtung gegeben hat, ebenfalls stark zu bezweifeln.

Wenig Chancen hat auch die Idee, die 2003 eingeführte Schuldenbremse für die nächsten Jahre außer Kraft zu setzen, wie dies Deutschland gerade tut. Eine sparsame Haushaltspolitik genießt in der Schweiz auch in der politischen Mitte – und teilweise sogar etwas links davon – viel Sympathie. Umso mehr, als sich diese Politik in der gegenwärtigen Krise als äußerst nützlich erwiesen hat.

Übrig bleibt ein Kompromiss, der darauf hinauslaufen könnte, den Schuldenrückbau über einen längeren Zeitraum zu strecken. Dafür müsste die Schuldenbremse in ihrer Funktionsweise zwar unangetastet bleiben, ihre Wirkung aber gedämpft werden. Ein solcher Vorschlag liegt auch schon auf dem Tisch. Böse Zungen würden vielleicht behaupten, es handle sich um eine Art Buchhaltungstrick: Nach diesem könnten die seit 2003 auf einem Ausgleichskonto des ordentlichen Haushaltes aufgelaufenen Haushaltüberschüsse von insgesamt 29 Mrd. sfr ganz oder teilweise mit den sich gerade häufenden Defiziten im außerordentlichen Haushalt verrechnet werden. Weil der außerordentliche Haushalt nach geltender Regel schon nach sechs Jahren ausgeglichen werden muss, wäre mit diesem Transfer viel Zeit zu gewinnen.

Die Befürworter dieses Vorgehens würden den Vorwurf des Bilanztricks aber weit von sich weisen. Sie sagen keineswegs zu Unrecht, dass die Schweizerinnen und Schweizer mit der Einführung der Schuldenbremse nicht primär einen Schuldenabbau, sondern vielmehr eine Schuldenstabilisierung im Auge hatten. So gesehen ließe sich argumentieren, dass der Staat jetzt wieder hergeben muss, was er den Steuerzahlern vorher zu viel abgeknöpft hatte.