CursivFiskalpolitik

Schuldenkonsolidierung klappt auch ohne Inflationierung

Irgendwo gibt es Grenzen der Staatsverschuldung. Um nicht in deren Nähe zu kommen, braucht es Disziplin, Wachstum und eine kluge vorausschauende Geldpolitik.

Schuldenkonsolidierung klappt auch ohne Inflationierung

Schuldenkonsolidierung klappt auch ohne Inflationierung

Irgendwo gibt es Grenzen der Staatsverschuldung. Um nicht in die Nähe
zu kommen, braucht es Disziplin und Wachstum.

Von Stephan Lorz, Frankfurt

Seit der Corona-Pandemie steigt die Staatsverschuldung in vielen Ländern stark an. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat für 2023 die Durchschnittsverschuldung auf 93,2% der Wirtschaftsleistung veranschlagt. Bis 2029 könnte dann der IWF-Prognose zufolge 100% erreicht sein. Und wie so oft in der Vergangenheit stellt sich dann die Frage: Was richtet eine so hohe Verschuldung mit dem Gemeinwesen an? Höhere Steuern, Rücknahme staatlicher Leistungen – oder Staatsbankrott, wenn Anleger an der zuverlässigen Bedienung der Kredite zweifeln? Wie kommt man von einer so hohen Quote wieder herunter?

Vor etwas mehr als zehn Jahren hatten die US-Ökonomen Kenneth Rogoff und Carmen Reinhart eine Studie veröffentlicht, die anhand historischer Daten einen Zusammenhang zwischen steigenden Schulden und sinkendem Wirtschaftswachstum beweisen sollte. Ab 90% Staatsverschuldung sinke das Wachstum und setzte eine Schuldenspirale in Gang, die kaum mehr zu stoppen ist, warnten sie. Doch sie hatten fehlerhaft gerechnet. Von der 90-Prozent-Grenze ist keine Rede mehr. Zumal es einige Länder gibt, die weitaus höhere Quoten aufweisen – und nicht stagnieren. China steuert bis zum Ende des Jahrzehnts auf gut 110% zu und die USA auf 134%.

Die Schuldentragfähigkeit ist begrenzt

Die in der Nullzinsphase aufgekommene Modern Monetary Theory (MMT) sieht keinerlei Grenzen für Verschuldung mehr. Dabei lehrt der Blick in die Geschichte anderes. Und auch die ökonomische Vernunft legt nahe, dass die Schuldentragfähigkeit begrenzt ist. Warum sonst ist es in vielen Ländern zu Staatsbankrotten, Schuldenschnitten oder Hyperinflation gekommen? Zugleich kam es in der Vergangenheit auch immer wieder zu völlig unspektakulären Konsolidierungsepisoden von Staaten, die zu sukzessive sinkenden Schuldenlasten führten. Warum der Aufwand?

Auch im Nachkriegsdeutschland ging die Verschuldung sukzessive nach oben, bis plötzlich Finanzdisziplin einkehrte. Ein neuer Politikstil, Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung bremsten den Anstieg und sorgte für Schuldenabbau. 2009 kam die Schuldenbremse hinzu. Inzwischen liegt die Staatsverschuldung bei etwas über 60% und damit weit unterhalb der allermeisten anderen Industriestaaten. Auch die früheren „Schuldensünder“ Spanien und Griechenland haben die Kehrtwende geschafft.

Wirtschaftswachstum mitentscheidend

Neben der oktroyierten und inhärenten Finanzdisziplin (Schuldenbremse, Politikverständnis) gibt es eine ganze Reihe weiterer Mechanismen, um eine zu hohe Verschuldung wieder zurückzuführen, wie der Ökonom Rui Estevez vom Geneva Graduate Institute an der Frankfurter Goethe-Universität darlegte. Er hat sich der Forschung der Schuldenkonsolidierung in den vergangenen 220 Jahren verschrieben. Und entgegen allgemeiner Vermutung ist es weniger die Inflation, die es Staaten ermöglicht, wieder mehr Finanzspielraum zu bekommen, als vielmehr eine Konstellation verschiedenster Einflussfaktoren.

Die Inflation trug Estevez zufolge nur bei höchstens der Hälfte der großen Konsolidierungsphasen positiv bei. Bisweilen wurde ihre Wirkung auf die Staatsfinanzen vom Zinsanstieg überkompensiert, in anderen Fällen trugen die Laufzeit von Bonds und die Finanzregulierung (Finanzrepression) dazu bei, dass sich ihre Kraft noch schneller entfaltete. Und sollen die Schulden „geordnet“ zurückgeführt werden, komme es mehr denn je auf ordentliches Wachstum, Fiskalregeln sowie – mit Blick auf die Inflationserwartungen – auf eine gute geldpolitische Begleitung an, damit Konsolidierung gelingt.

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