Sechstes Auftragsminus für Industrie
ba Frankfurt
Die deutsche Industrie gerät in immer schwereres Fahrwasser. Im Juli hat das verarbeitende Gewerbe zum sechsten Mal in Folge weniger Aufträge eingesammelt als im Vormonat. Diesmal haben die Bestellungen aus den Ländern außerhalb des Euroraums ein noch schwächeres Ergebnis verhindert. Angesichts der schwächelnden Weltkonjunktur und wenig Aussicht auf eine Wende zum Besseren ist dies ein weiteres Signal, dass die größte Euro-Volkswirtschaft in eine Rezession steuert.
Den vorläufigen Angaben des Statistischen Bundesamts (Destatis) zufolge erhielt die Industrie im Juli 1,1% weniger Order als im Monat zuvor. Ökonomen hatten zwar mit dem erneuten Minus gerechnet, – allerdings nur von 0,5%. Allerdings fiel der Rückgang im Juni mit 0,3% minimal besser aus als zunächst mit –0,4% gemeldet. Gegenüber dem Vorjahresmonat verzeichneten die Wiesbadener Statistiker für Juli ein Minus von 13,6%.
„Die Entwicklung der Nachfrage beim verarbeitenden Gewerbe verlief angesichts des Kriegs und der hohen Gaspreise auch zu Beginn des dritten Quartals schwach“, kommentierte das Bundeswirtschaftsministerium. Für die Industrieunternehmen bleibe der Ausblick auf das zweite Halbjahr gedämpft, was sich auch in einem abgekühlten Geschäftsklima und zurückhaltenden Exporterwartungen widerspiegele. Auch Ökonomen bewerten die Aussichten als sehr trübe.
„Lieferkettenstörungen, steigende Energiepreise und hohe Inflationsraten haben der Weltkonjunktur einen Dämpfer versetzt und lassen auch seit Jahresbeginn die Bestellungen von Monat zu Monat sinken“, erklärte DIHK-Konjunkturexperte Jupp Zenzen. Dass nicht nur im Inland die Nachfrage nach Industrie- und Investitionsgütern schwächele, sondern auch die aus dem Euroraum seien „keine guten Aussichten für die exportorientierte deutsche Wirtschaft“. Während aus dem Inland 4,5% weniger Aufträge als im Vormonat eingingen, kletterten die Bestellungen aus dem Ausland um 1,3%. Dabei sanken die Orderzahlen aus den Ländern des gemeinsamen Währungsraums um 6,4%, wohingegen die Bestellungen aus dem restlichen Ausland um 6,5% zulegten.
„Die kommenden Monate werden harzig“, warnte Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank. Der Stopp russischer Gaslieferungen mache eine Energierationierung wahrscheinlich. „Selbst Unternehmen, die bislang noch guter Dinge waren, bekommen in solch einem Umfeld dann doch noch kalte Füße“, sagte Gitzel. „Investitionen werden zurückgestellt, was den Auftragseingang belastet.“ Zwar blickten die Unternehmen noch immer auf einen hohen Auftragsbestand, doch das Risiko von Stornierungen wachse. Diese Sorge teilt ING-Chefökonom Carsten Brzeski: „Zu Beginn des Jahres waren die Auftragsbücher der deutschen Industrie gut gefüllt und boten eine gute Absicherung gegen eine Rezession. Seit dem Beginn des Ukraine-Krieges hat diese Versicherung jedoch von Monat zu Monat abgenommen.“ Angesichts des bis zuletzt gestiegenen Auftragsbestands seien die aktuellen Auftragseingänge für die Entwicklung der Produktion allerdings wohl nur zweitrangig, urteilt Commerzbank-Volkswirt Ralph Solveen. Wichtiger seien derzeit die weiter bestehenden Lieferengpässe bei Vorprodukten und „die massiv gestiegenen Energiepreise, die viele Produkte unrentabel machen“. Vor allem Letzteres dürfte sich in den kommenden Monaten stärker bemerkbar machen, so dass die Industrieproduktion weiter zurückgehen werde. Für den Juli weisen die ebenfalls am Dienstag veröffentlichten realen Industrie-Umsätze von −1,8% zum Juni ebenfalls auf ein Minus hin. „Damit trägt wohl auch die Industrie dazu bei, dass die deutsche Wirtschaft im dritten Quartal leicht schrumpfen wird“, erwartet der Commerzbank-Ökonom. Im zweiten Quartal hatte die hiesige Wirtschaft noch 0,1% zugelegt. Für das laufende zweiten Halbjahr rechnen Experten mit einer technischen Rezession aus zwei aufeinanderfolgenden Minus-Quartalen.
Fahrzeugbau verzerrt Daten
Solveen findet in den Auftragszahlen aber auch Positives: Rechne man den sehr volatilen Posten „sonstiger Fahrzeugbau“ – also Flugzeuge, Lokomotiven, Schiffe etc. –, der in den beiden vergangenen Monaten ursächlich für die Rückgänge war, heraus, „haben sich die Auftragseingänge seit dem Frühjahr stabilisiert“. Laut Wirtschaftsministerium waren im Juli für das Minus die geringeren Bestellungen von Konsumgütern (−16,9%) und Investitionsgütern (–0,2%) ausschlaggebend. Die Hersteller von Vorleistungsgütern erhielten 1,5% mehr Bestellungen. Spürbare Auftragsrückgänge vermeldeten erneut der sonstige Fahrzeugbau (–21,9%), die energieintensiven Segmente der pharmazeutischen Erzeugnisse (–23,6%), der chemischen Erzeugnisse (–5,7%) sowie der gewichtige Bereich Maschinenbau (–4,1%). Die Hersteller von Kfz/Kfz-Teilen verzeichneten ein Minus von 0,3%. Einen deutlichen Zuwachs von 18,7% gab es bei elektrischen Ausrüstungen.