Sozialkrise setzt Macron unter Druck
wü Paris
In Frankreich drohen sich die Proteste gegen die Rentenreform noch mehr auszuweiten. Die Gegner des Reformprojekts, das die Anhebung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre vorsieht, haben für Dienstag zu einem neuen Protesttag aufgerufen. Präsident Emmanuel Macron hat deshalb lieber vorsorglich den Staatsbesuch des britischen Königs Charles III. auf einen unbekannten Zeitpunkt verschoben. „Wir würden es nicht ernst meinen und es würde uns an gesundem Menschenverstand fehlen, wenn wir Seiner Majestät dem König und der Königsgemahlin vorschlagen würden, inmitten der Demonstrationen zu einem Staatsbesuch zu kommen“, begründete er die Entscheidung.
Charles III. hätte eigentlich von Sonntag bis Mittwoch nach Frankreich reisen und Montagabend zusammen mit Macron im Schloss von Versailles speisen sollen. Nach der Zunahme der gewalttätigen Ausschreitungen am Rande des Protesttages am Donnerstag gab es in Frankreich immer mehr Befürchtungen, dass es in Versailles zu neuen Protestaktionen kommen könnte. Zumindest sollen dazu Vertreter der Links- und der Rechtsextremen, der Gelbwesten-Bewegung und Impfgegner auf sozialen Netzwerken verstärkt aufgerufen haben. „Das Treffen der Könige von Versailles wurde durch die Volkszensur aufgelöst“, höhnte Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon von La France Insoumise (LFI).
Gewerkschaftsführer Laurent Berger von der CFDT forderte Macron auf, die Reform auf Eis zu legen und eine versöhnende Geste in Richtung der Reformgegner zu machen. Frankreichs Staatsoberhaupt hält jedoch weiter an der Reform fest und hofft, dass sie Ende des Jahres in Kraft tritt. „Wir machen weiter. Frankreich kann nicht stillstehen“, sagte Macron. Er erklärte sich aber bereit, Vertreter der Gewerkschaften zu Gesprächen zu treffen. Noch muss der Verfassungsrat über die Rentenreform entscheiden. Dafür hat er normalerweise einen Monat Zeit, wenn die Regierung eine Dringlichkeitsprüfung beantragt, acht Tage.
Sozialkasse im Minus
Angesichts der Proteste ist die Bilanz des Sozialversicherungssystems Sécurité Sociale, die die Regierung jetzt für 2022 veröffentlicht hat, in den Hintergrund getreten. Das Defizit der Pflichtkassen und des Solidaritätsfonds zur Altersvorsorge ist mit 19,6 Mrd. Euro um 700 Mill. Euro höher als erwartet ausgefallen. Es seien mehr Leute als erwartet in Rente gegangen, erklärt das Wirtschaftsministerium das über den Erwartungen liegende Defizit. Im Vergleich zu 2020 und 2021, als es sich wegen der Covid-Krise auf 37,3 Mrd. Euro und dann 24,3 Mrd. Euro ausgeweitet hatte, ist es allerdings zurückgegangen. Im laufenden Jahr dürfte es weiter sinken, auf 7,1 Mrd. Euro, hofft die Regierung.