Im InterviewGunther Schnabl

„Sozialpolitiker kommen beim Wähler besser an als Reformer“

Der Leipziger Ökonom zum Misstrauen der Deutschen gegenüber dem Markt und zum Hang der Politik zur Aufblähung von Verwaltung und Bürokratie. In der Klima- und Sozialpolitik zeige sich die Anmaßung der Politik, alles besser zu wissen als alle Marktakteure zusammen.

„Sozialpolitiker kommen beim Wähler besser an als Reformer“

Im Interview: Gunther Schnabl

„Sozialpolitiker kommen besser an als die Reformer“

Der Leipziger Ökonom zum Misstrauen der Deutschen gegenüber dem Markt und zum Hang der Politik zur Aufblähung von Verwaltung und Bürokratie

Billiges Geld und geldpolitische Staatsfinanzierung haben die Politik zu riesigen Ausgabeversprechen verleitet. Was in der Sozialpolitik geschieht, soll nun auf die Klimapolitik übertragen werden, kritisiert der Leipziger Ökonom Schnabl und fordert die Rückkehr zu stabilem Geld.

In der Debatte um die Klimawende setzt man zwar auf den CO2-Preis, doch so recht traut die Politik dem Preismechanismus nicht und legt noch weitere Vorgaben drauf wie Heizungsgesetz für Privatleute, Energieeffizienzgesetz für Unternehmen. Woher rührt die Skepsis gegenüber dem Preismechanismus?

Der Preismechanismus ist einfach und wirkungsvoll. Je höher der Preis durch eine CO2-Steuer, desto größer ist der Anreiz zum Einsparen von CO2. Umweltpolitische Ziele können so leicht und relativ unbürokratisch erreicht werden. Die Skepsis gegenüber dem Preismechanismus aus Sicht der Politik könnte daraus resultieren, dass die Kosten für den Wähler sofort sichtbar sind und den Urhebern schnell Kritik entgegenschlägt. Dagegen sind bei Regulierungen die Kosten zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht klar sichtbar, sodass die Maßnahmen leichter durchsetzbar sind.

Gunther Schnabl ist Professor für Wirtschaftspolitik und Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Leipzig sowie Senior Advisor beim Flossbach von Storch Research Institute. Der Experte für Geld und Währung wurde an den Universitäten in Tübingen, Tokio und Stanford promoviert und habilitiert.

Aber das geht ja einher mit mehr bürokratischem Aufwand.

Richtig, wuchernde Regulierungen bremsen das Wachstum. Unter dem Blickwinkel der politischen Akteure kann Regulierung jedoch auch positiv gesehen werden: Mit der wachsenden Bürokratie im öffentlichen Sektor werden neue Stellen geschaffen, die mit Unterstützern der politischen Parteien besetzt werden können. Auch manche Lobbygruppen sind dieser Lösung nicht abgeneigt, weil sie oftmals ihren Interessen dienen. Natürlich wird stets ein Nutzen für die Gesellschaft ins Schaufenster gestellt wie der Schutz Schwacher oder der Umwelt. Dann sind Regulierungen schwer angreifbar und revidierbar.

Warum sollte ein Politiker oder ein Bürokrat die richtige Entscheidung für die Gesellschaft treffen, wenn er kein persönliches Risiko trägt?

Warum glaubt der Staat eigentlich, alles besser machen zu können und zu wissen als der Markt?

Friedrich August von Hayek hätte jeden Versuch der Politik, zukünftige wirtschaftliche Entwicklungen zu planen, als „Anmaßung von Wissen“ angesehen. Warum sollte ein Politiker oder ein Bürokrat die richtige Entscheidung für die Gesellschaft treffen, wenn er kein persönliches Risiko trägt? Die Politik gerät insbesondere dann in die Versuchung des Besserwissens, wenn die staatliche Finanzierung einfach ist. Staatlich finanzierte Förderprogramme können dafür sorgen, dass Protest unterbleibt. Das war in Deutschland etwa zwischen 2008 und 2022 der Fall, weil die Europäische Zentralbank mit einer dauerhaften Niedrigzinspolitik und großen Staatsanleihekäufen dem deutschen Staat große zusätzliche Ausgabenspielräume verschafft hat. In der Coronakrise konnten die Politiker mit teuren Rettungspaketen große Handlungsfähigkeit beweisen, was sich in verbesserten Umfragewerten widergespiegelt hat.

Vielleicht lag es an der harten Währung und der damit verbundenen wirtschaftlichen Stärke, dass in breiten Bevölkerungsschichten keine Aktienkultur entstanden ist.

Aber ist es noch mit Wissensanmaßung zu erklären, wenn ganze Wirtschaftssektoren wie die Börse als irgendwie unvereinbar mit der politischen Moral angesehen werden? Noch in den sechziger und siebziger Jahren warb sogar die katholische Soziallehre für Aktienanlagen unter dem Slogan „Eigentumsbildung in Arbeitnehmerhand“. Jetzt muss die FDP dafür kämpfen, dass in der Rentenpolitik dieses Instrument überhaupt Einzug hält.

Lange Jahre war die Deutsche Mark sehr stabil; und Spareinlagen waren damit eine lukrative Anlageform. Bei längerfristigen Spareinlagen konnte man eine positive reale Rendite erreichen, ohne ein Risiko einzugehen. Zudem war bei einer stark wachsenden Wirtschaft die umlagebasierte gesetzliche Rentenversicherung eine verlässliche Form der Alterssicherung. Vielleicht lag es also an der harten Währung und der damit verbundenen wirtschaftlichen Stärke, dass in breiten Bevölkerungsschichten keine Aktienkultur entstanden ist.

Könnte sich das jetzt angesichts der anderen Umstände ändern?

Nun ist aufgrund des weichen Euro die Inflation hoch und das Wachstum gering. Doch das Umdenken fällt schwer. Die dauerhaft niedrigen Zinsen haben die Aktienpreise inzwischen so stark nach oben getrieben, dass der späte Einstieg kostspielig sein könnte. Das trifft insbesondere junge Menschen, die noch kein Vermögen bilden konnten und die vom umlagefinanzierten Rentensystem zunächst nur Lasten zu erwarten haben. Es gibt noch keine politische Partei, die sich in der stark überalterten Gesellschaft aktiv für die junge Generation einsetzt.

Ist das Umlagesystem also tot?

Nein, das Umlagesystem ist eine gute Form der Alterssicherung, weil es gegen Krisen und Inflation relativ resistent ist. Allerdings gerät es durch geringe Geburtenraten in Schieflage und wird für die junge Generation zu einer Last. Gleichzeitig macht die Kombination von niedrigen Zinsen und Inflation die Bankeinlagen als Alterssicherung unattraktiv. Deshalb muss die gesetzliche Rentenversicherung durch inflationsresistente Anlageformen ergänzt werden. Das sind neben Immobilien eben Aktien.

Warum wirbt in der Politik eigentlich nur die FDP dafür?

Es bleibt das Problem, dass in Zeiten einer großen Volatilität auf den Finanzmärkten für Aktienanlagen Finanzmarktbildung nötig ist, die breiten Bevölkerungsschichten schwer zu vermitteln ist. Aus dieser Sicht wäre es besser, glaubwürdig zur Geldwertstabilität zurückzukehren. Doch dafür dürfte der Euroraum zu instabil sein.

Offenbar scheinen Politiker, die immer neue soziale Leistungen fordern, beim Wähler besser anzukommen als ambitionierte Reformer, die gern als sozial kalt stigmatisiert werden.

Auch das deutsche Sozialsystem wächst immer weiter und zieht mehr Bürokratie und immer mehr Finanzmittel an sich. Die Aufstockung des Bürgergelds ist das jüngste Beispiel. Warum sieht der Staat überall Armut, die bekämpft werden soll, obwohl der Wohlstand gewachsen ist?

Die Sozialleistungen in Deutschland sind auf 1.200 Mrd. Euro gestiegen. Trotzdem fordern viele Politiker immer noch neue soziale Leistungen. Offenbar scheinen sie beim Wähler damit besser anzukommen als ambitionierte Reformer, die gern als sozial kalt stigmatisiert werden. Zudem hat die wuchernde staatliche Rundumversorgung viele zusätzliche Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor geschaffen, die nicht nur gut bezahlt sind, sondern auch mit einer guten Work-Life-Balance daherkommen.

Also noch mehr Staat.

Ja, seit dem Jahr 2008 ist die Anzahl der Erwerbstätigen im öffentlichen Sektor um 2,6 Millionen gewachsen. Hinzu kommen nochmals 1,3 Millionen zusätzliche Erwerbstätige in staats- oder regulierungsnahen Dienstleistungen wie Wissenschaft und Beratung. Viele der mehr als 18 Millionen in diesen Sektoren beschäftigten Menschen sind überzeugt davon, dass immer mehr Umverteilung und Klimarettung mittels Regulierung der richtige Weg ist. Allerdings sinkt die Produktivität und die Lohnstückkosten steigen, sodass die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft schwindet.

Die stetige Ausweitung der sozialen Sicherung und des öffentlichen Sektors wurde über lange Zeit durch das immer weiter steigende Produktivitätsniveau in der Industrie ermöglicht.

Wie erklären Sie sich, dass in Deutschland Unternehmertum, Risiko und Eigenverantwortung einen so schlechten Leumund haben? Und warum so viele Menschen lieber Beamte werden statt Unternehmer?

Die stetige Ausweitung der sozialen Sicherung und des öffentlichen Sektors wurde über lange Zeit durch das immer weiter steigende Produktivitätsniveau in der Industrie ermöglicht. Trotzdem gab es ein Gleichgewicht zwischen den Parteien, die Umverteilung gefordert haben, und den Parteien, die sich für das Leistungsprinzip eingesetzt haben. Seit der Jahrtausendwende hat jedoch die zunehmend expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank der ersten Gruppe Oberwasser verschafft, da alle möglichen sozialen Wohltaten und Umweltprogramme scheinbar mit Leichtigkeit finanziert werden konnten. Es machte Sinn, Risiko zu meiden und sich dem Staat zuzuwenden.

Das sollte sich aber mit den Zinserhöhungen der EZB nun geändert haben.

Mit der Inflation und den Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank haben die ambitionierten sozial- und klimapolitischen Ziele der Ampel-Regierung tatsächlich einen großen Dämpfer erhalten. Sollten die Zinsen hoch bleiben, dann werden Leistungsträger wieder mehr gefragt sein. Sollten die Zinsen wieder sinken und die Europäische Zentralbank wieder Staatsanleihen kaufen, dann wird die Anzahl der Staatsdiener relativ zu den Erwerbstätigen im privaten Sektor weiter zunehmen. Die Kosten werden sich in Inflation und einer weiter sinkenden Kaufkraft zeigen.

In den USA und dem Vereinigten Königreich ist liberales und leistungsorientiertes Denken stärker in den Gesellschaften verankert als in Kontinentaleuropa.

Also keine guten Aussichten, da wir vor der nächsten Zinssenkungswelle stehen. Aber ich bin etwas überrascht, dass Sie den deutschen Hang zu weniger Markt und mehr Staat weitgehend den ökonomischen Umständen zuschreiben. Doch in anderen Ländern sind die Umstände nicht viel anders, trotzdem werden dort Markt und Börse positiver wahrgenommen. Warum?

In den USA und dem Vereinigten Königreich ist liberales und leistungsorientiertes Denken stärker in den Gesellschaften verankert als in Kontinentaleuropa. Deutschland hat eine „eindrucksvolle“ Geschichte der Geldentwertung. Man denke nur an die Hyperinflation der frühen 1920er Jahre. Vielleicht war es in Westdeutschland nur ein Glücksfall, dass unter dem Einfluss der US-amerikanischen Besatzungsmacht nach dem Zweiten Weltkrieg eine unabhängige Zentralbank und eine harte Währung eingeführt wurden, die die deutsche Wirtschaft zu beeindruckenden Produktivitätsgewinnen getrieben haben. Nachdem die harte Währung durch die Einführung des Euro passé ist, ist Deutschland vielleicht zu dem Weichwährungsstatus zurückgekehrt, der den gesellschaftlichen Präferenzen entspricht. Ich habe trotzdem immer noch die Hoffnung, dass sich die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland der Vorteile einer harten Währung besinnen und Deutschland zurück zu einer Hartwährung findet. Nur so ist der sehr großzügige Sozialstaat finanzierbar.

Das Interview führte Stephan Lorz.

Das Gespräch führte Stephan Lorz.

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