Ottmar Edenhofer

„Streit über Datum für den Kohleausstieg bringt Klimapolitik nicht voran“

Die Debatten um den Klimaschutz im Bundestagswahlkampf bringen die Klimapolitik nach Einschätzung von Ottmar Edenhofer nicht voran. „Wir ringen nicht um die relevanten Fragen“, sagt der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung.

„Streit über Datum für den Kohleausstieg bringt Klimapolitik nicht voran“

Stefan Paravicini.

Herr Professor Edenhofer, im Wahlkampf wird wieder einmal über das Datum für den Kohleausstieg diskutiert. Kann man den Termin dem CO2-Preis überlassen?

Ich glaube, das ist eine irreführende Debatte, denn wir werden durch den European Green Deal auf jeden Fall eine Verschärfung bekommen. Im europäischen Emissionshandel wird der Preis steigen. Aber auch der Kohlepreis steigt im Augenblick gewaltig. Der Kohleausstieg wird daher faktisch weit vor 2038 stattfinden. Wenn der European Green Deal mit seinen richtigerweise stärkeren Maßnahmen zur Stabilisierung unseres Klimas umgesetzt wird, ist nicht mehr viel Platz für die Kohle, das ist völlig klar. Und es ist besser, das über Preissignale zu regeln, als noch einmal einen teuren Kohlekompromiss zu vereinbaren.

Was sagen Sie zum Wettbewerb der Ideen im Wahlkampf?

Ich finde den Wahlkampf erschreckend inhaltsleer. Wir ringen nicht um die relevanten Fragen. Die kommende Bundesregierung muss eine Reihe von sehr wichtigen Aufgaben anpacken. Treibhausgasneutralität in Deutschland bis 2045 zu erreichen ist ein ungeheuer ambitioniertes Ziel. Der European Green Deal, der im Juli vorgelegt wurde, ist ein sehr, sehr ehrgeiziges Programm. Damit wird man alle Hände voll zu tun haben. Jetzt über das Datum für den Kohleausstieg zu streiten ist ein Scheingefecht und bringt die Debatte über Klimapolitik nicht voran. Eine große Mehrheit in Deutschland hat sich darauf verständigt, dass wir starke Klimaziele wollen. Zugleich verdeutlichen die Extreme weltweit, von Waldbränden bis zu Starkregen und Fluten, warum wir die Klimarisiken begrenzen sollten. Jetzt geht es darum, dass die Politik die besten Werkzeuge dafür auswählt und sich an die Umsetzung macht.

Die Grünen haben dazu noch einmal nachgebessert. Was halten Sie von deren Sofortprogramm?

Bei der Klimapolitik kann es nicht allein um die Grünen gehen, die muss ein zentrales Thema für alle Parteien sein. Was ich aber bei allen Parteien vermisse, ist die europäische und die internationale Ebene. Wir müssen über eine Klimaaußenpolitik sprechen, die es uns erlaubt, China und die USA zu involvieren. Etwa in einem Klimaclub, der sich auf Mindestpreise verständigt und über Grenzausgleichsmechanismen Anreize schafft, dass Länder wie Russland und Indien mitziehen. So ließen sich die Länder, die für einen Großteil der weltweiten Emissionen verantwortlich sind, zu Reduktionszielen verpflichten. Das wäre ein ganz wichtiger Schritt.

Im Rahmen des Green Deal macht die Kommission Vorschläge dazu.

Ja, die Reaktion war aus meiner Sicht aber sehr verhalten. Ich vermisse bei allen Parteien ein Bekenntnis zum European Green Deal und die Verpflichtung, das europäisch voranzubringen. Ursula von der Leyen schlägt einen zweiten Emissionshandel für Verkehr und Gebäude vor, der auch das Potenzial hätte, dass daraus ein einheitlicher Emissionshandel wird. Das wird natürlich ein paar Jahre dauern, denn solche politischen Prozesse benötigen Zeit. In Europa würde uns diese Ausweitung des Emissionshandels auf alle Sektoren helfen, die Treibhausgasneutralität bis Mitte des Jahrhunderts zu erreichen. Dieser Vorschlag sollte dringend auch in Deutschland diskutiert und vorangebracht werden.

Wie stehen Sie zum Carbon Border Adjustment Mechanism, den die Kommission vorschlägt?

Den Grenzausgleich sehe ich skeptisch. Die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie erhält man am besten dadurch, dass man mit anderen Ländern kooperiert, damit sie ebenfalls CO2-Preise einführen.

Wie fallen die Reaktionen auf den European Green Deal in anderen Teilen der EU aus?

In Europa merkt man bereits, dass sich die Debatte sehr verändert hat, vor allem in Polen, wenn man da genau hinschaut. Trotz all der Schwierigkeiten, die es mit und in Polen gibt, hat man dort verstanden, dass wir die globale Energiewende brauchen. In Deutschland vermisse ich die Energieaußenpolitik. Natürlich gibt es ganz viele nationale Aufgaben, die Wasserstoffstrategie, der Ausbau der erneuerbaren Energien, da bleibt viel zu tun. Entscheidend ist allerdings die internationale Perspektive.

Schaut man in die Wahlprogramme, ist der Weg zur Klimaneutralität gepflastert von Subventionen. Kommt der CO2-Preis zu kurz?

Die Aussage, dass der CO2-Preis das zentrale Element der Klimapolitik sein soll, fehlt. Natürlich kann man auch über Subventionen sprechen, wenn es um Anschubfinanzierungen geht. Aber es ist illusorisch zu glauben, dass man damit die Klimapolitik im Kern voranbringen kann. Das geht nur vorübergehend, dann aber müssen Preissignale dafür sorgen, dass die besten Technologien eingesetzt werden. Mich besorgt die Vorstellung, die scheinbar viele Parteien haben, dass man durch Subventionen viele glücklich macht und die Klimapolitik dann schon irgendwie in die richtige Richtung geht. Das wird leider nicht funktionieren.

Warum tut sich die Politik so schwer, im Klimaschutz einem Preissignal zu vertrauen?

Ein Grund ist sicher die Befürchtung, dass der gesellschaftliche Konsens an zu hohen CO2-Preisen zerbrechen könnte, das verstehe ich natürlich. Deshalb geht es nur in Trippelschritten voran. Immerhin sind jetzt aber schon einmal Preise aufgerufen, die in einer Größenordnung liegen, mit der man beginnen kann. Wir könnten besser vorankommen, wenn wir die Frage des sozialen Ausgleichs offensiv angehen und Geringverdiener unter dem Strich entlasten. Ein zweiter Grund ist, dass viele glauben, wichtiger als der CO2-Preis seien jetzt Subventionen, damit klimafreundliche Alternativen zur Verfügung stehen. Tatsächlich brauchen wir auch Fördermaßnahmen und staatliche Investitionen, aber befristet. Das kann nicht die Richtung sein, um langfristig Kapital für Investitionen zu mobilisieren. Und auch Subventionen führen erst zur Senkung von Emissionen, wenn es den klaren Rahmen eines CO2-Preises gibt.

Die Grünen wollen den CO2-Preis schon 2023 auf 60 Euro pro Tonne erhöhen. Brauchen wir eine freie Preisbildung schon vor 2026?

Darüber kann man diskutieren, dafür sehe ich derzeit aber keine Chancen. Die neue Bundesregierung könnte das natürlich früher machen. Man sollte jetzt aber erstmal schauen, wie weit man mit 60 Euro eigentlich kommt. Vor 2026 wird es auch keinen zweiten Emissionshandel auf europäischer Ebene geben. Bis dahin muss aber viel passieren. Wir haben jetzt in Deutschland ein Festpreissystem und damit müssen wir jetzt leben. Wenn wir sehen, wir können die nötigen Emissionsreduktionen nicht erreichen, dann muss der Preis angehoben werden. Das muss aber regelbasiert geschehen. Mein Plädoyer ist im Übrigen nicht, alle anderen Elemente der Klimapolitik abzuschaffen, da würden die CO2-Preise durch die Decke gehen. Mein Plädoyer ist vielmehr, dass der CO2-Preis zunehmend die Hauptrolle übernimmt und die anderen Instrumente die Nebenrolle einnehmen. Heute ist es umgekehrt, und der CO2-Preis spielt bestenfalls eine Nebenrolle.

Kann eine Klimadividende, die pro Kopf ausgezahlt wird, für sozialen Ausgleich sorgen?

Zunächst sollte man mit den Einnahmen aus der CO2-Bepreisung die Stromsteuer absenken und die EEG-Umlage aus dem Strompreis rausnehmen. Das ist eine Entlastung, die den Verbrauchern und der Wirtschaft hilft. Das sollte man unmittelbar machen, es ist auf jeden Fall richtig. Die Klimadividende ist eine schwierigere Diskussion. Ich finde das eine gute Sache, ich kann mir aber auch eine andere Ausgestaltung vorstellen, so dass sie zum Beispiel hauptsächlich einkommensschwachen Gruppen zukommt. Die Europäische Union wird einen Sozialfonds aufsetzen, aus dem vor allem Haushalte in ärmeren Mitgliedsstaaten kompensiert werden. Da gibt es viele Möglichkeiten einer sinnvollen Ausgestaltung.

Brauchen wir ein Klimaministerium mit Vetorecht, wie es die Grünen fordern?

Wir haben durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und die Zielvorgabe der Klimaneutralität bis 2045 enorm ehrgeizige Vorgaben. Dass da ein Vetorecht eines Ministeriums hilft, kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen. Entscheidend ist, dass die Klimapolitik besser abgestimmt wird, denn das ist eine gigantische Koordinationsaufgabe. Die Bundesregierung ist deshalb gut beraten, einen Koordinationsmechanismus zu suchen. Das hat die jetzige Bundesregierung mit dem Klimakabinett versucht. Das könnte noch effizienter ausgestaltet werden.

Wie bewerten Sie als Klimaökonom das Urteil des Verfassungsgerichts?

Im Verfassungsgerichtsurteil ist im Kern die Forderung nach einer glaubwürdigen Selbstverpflichtung der Bundesregierung enthalten. Es sagt, man kann nicht ständig Emissionsminderungen in die Zukunft verschieben, weil dadurch die Freiheitsrechte der künftigen Generationen ungebührlich eingeschränkt werden. Damit ist deutlich: Es geht in der Klimapolitik um die Freiheit, um die Sicherheit unserer Kinder. Egal wie die nächste Bundesregierung zusammengesetzt sein wird, sie muss sich dieser Verpflichtung stellen. Das ist ein großer Schritt für die Klimapolitik und übrigens auch für die Wirtschaft. Die hat jetzt den glaubwürdigen langfristigen Rahmen, den sie braucht für die neue industrielle Revolution, für die Klimawende.

Das Interview führte

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.