Streit über russischen Zahlungsverzug
est Wien
– Taiwanesische Investoren haben am Montag beklagt, auch nach Ablauf einer Gnadenfrist keine Zinszahlungen für ihre russischen Staatsanleihen erhalten zu haben. Das berichtete die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf Insider. Nach Auffassung der US-Regierung ist damit ein Zahlungsausfall eingetreten. Die russische Regierung wies diese Darstellung zurück.
Seit Monaten steht vor dem Hintergrund von Russlands Krieg gegen die Ukraine und der daraufhin verhängten Sanktionen ein Zahlungsausfall Russlands im Raum. Russland hätte 100 Mill. Dollar an Zinsen für zwei Fremdwährungsanleihen überweisen müssen. Eigenen Angaben zufolge hat es das auch getan. Allerdings hat das Geld die internationalen Gläubiger wohl nicht erreicht. Der Zahlungsverkehr ins Ausland ist nämlich unterbrochen. Dass die Zahlung von der europäischen Clearingstelle Euroclear sanktionsbedingt blockiert werde, „ist nicht unser Problem“, ließ Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montag wissen. Ein US-Vertreter erklärte indes am Rande des G7-Gipfels, die Insolvenz zeige, „wie stark die Maßnahmen sind, die die USA zusammen mit ihren Verbündeten und Partnern ergriffen haben“. Die Folgen für Russlands Wirtschaft seien „dramatisch“.
Generell gilt ein Staat als zahlungsunfähig, wenn er seine Schulden und die dafür fälligen Zinsen nicht rechtzeitig bedienen kann. Unklar war zuletzt noch, ob der Montag noch zur üblichen 30-tägigen Schonfrist zählt. Wenn demnach das Geld bei den Gläubigern nicht bis Mitternacht ankommt, dürfte Russland spätestens dann für zahlungsunfähig erklärt werden. Es wäre der erste solche Fall seit über 100 Jahren.
Sanktionen verschärft
Dennoch ist der Fall untypisch in der Insolvenzgeschichte. Im Unterschied zu anderen Staaten wie etwa einst Argentinien, denen auch wirklich das Geld ausging, schwimmt Russland förmlich darin, weil es die Einnahmen aus dem Öl- und Gasverkauf aufgrund der vielen westlichen Exportbeschränkungen ohnehin nicht ausgeben kann. Und die russischen Staatsschulden sind sehr niedrig. Zum Jahreswechsel betrugen sie laut Rechnungshof 20,9 Bill. Rubel (zum damaligen Wechselkurs 278 Mrd. Dollar), was 18,1% der Wirtschaftsleistung entspricht. Die Auslandsschulden davon – zum Jahreswechsel 60 Mrd. Dollar – sind eigentlich eine Bagatelle, bedenkt man, dass allein der Handelsbilanzüberschuss dieses Jahr über 200 Mrd. Dollar betragen wird.
Russland schien in den vergangenen Wochen auch sehr gewillt, die Schulden zu begleichen und sich damit das Image des zuverlässigen Schuldners zu bewahren. Mit jedem Monat aber wurden die Prozeduren komplizierter. Zum einen haben die USA die Bezahlung der Schulden insofern verunmöglicht, als sie US-Banken eine Sondergenehmigung zur Weiterleitung der Zinszahlungen an ihre Kunden gestrichen haben. Die Citigroup, die als Zahlungsagent für die Zuteilung an die Gläubiger verantwortlich war, hat daraufhin diese Funktion abgegeben.
In der Folge hat das russische Finanzministerium diese Funktion seinem eigenen russischen Wertpapierverwahrer NSD übertragen. Das Problem: Die EU hat Anfang Juni auch die NSD mit Sanktionen belegt. Die Zahlungen können von dort also nicht mehr weitergeleitet werden. Und dadurch, dass Russland sie nun in Rubel tätigt, die erst dann in Dollar oder Euro getauscht werden, widersprechen diese Zahlungen Experten zufolge ohnehin den Verträgen. Der Kreml verdächtigte Brüssel, Russland in einen „künstlichen Zahlungsausfall“ hineintreiben zu wollen.
Vorerst sind die Folgen der Insolvenz eher symbolischer Natur. Möglich wäre freilich, dass Gläubiger alsbald die Rückzahlung aller Schulden verlangen – sprich auch jener, die gar nicht fällig sind – und sich auch dadurch schadlos halten, dass sie ausländischen Besitz russischer Staatskonzerne beschlagnahmen. Jedenfalls beschädigt der Vorgang nach allgemeiner Auffassung das Image Russlands zusätzlich und dürfte langfristig die Aufnahme von Schulden erschweren. In der gegenwärtigen Phase sind die unmittelbaren Folgen begrenzt, weil Russland derzeit ohnehin keine internationalen Kredite aufnehmen kann und frisches Geld auch nicht benötigt.
Wertberichtigt Seite 6