Konjunktur

Trüber November für die deutsche Wirtschaft

Die Rückgänge bei Auftragseingang und Einzelhandelsumsätzen sind weiteres Futter für die zunehmenden Konjunktursorgen. Die deutsche Wirtschaft wird im Winterhalbjahr wohl bestenfalls stagnieren.

Trüber November für die deutsche Wirtschaft

Trüber November für die Wirtschaft

Auftragseingang sinkt stärker als erwartet − Großaufträge verzerren das Bild − Jobsorgen bremsen den Konsum

Der unerwartet kräftige Auftragsrückgang der deutschen Industrie im November beruht zwar hauptsächlich auf der Entwicklung der Großaufträge, signalisiert aber weiteres Ungemach für die Wirtschaft: Er deutet Kürzungen bei Produktion und Personal an. Die Einzelhandelsumsätze haben trotz Weihnachtsgeschäft nachgegeben.

ba Frankfurt

Für die deutsche Wirtschaft sind die Novemberdaten zu Auftragseingang und Einzelhandelsumsätzen schlechte Nachrichten. Zwar deutet sich bei den Neubestellungen ohne die volatilen Großaufträge eine Bodenbildung ab, doch die absehbar weiteren Produktionskürzungen befeuern die ohnehin zunehmenden Jobsorgen der Verbraucher zusätzlich. Das Konsumklima verharrt im Keller, die Haushalte scheuen größere Anschaffungen, und die Sparquote ist im langjährigen Vergleich erhöht. Trotz Weihnachtsgeschäft setzten die Einzelhändler weniger um. Einen ersten Fingerzeig, was das für die Entwicklung der hiesigen Wirtschaft bedeutet, gibt es kommende Woche, wenn das Statistische Bundesamt (Destatis) die Erstschätzung zum BIP veröffentlicht. Das zweite Jahr im Minus gilt als gesetzt.

Die Auftragseingänge des verarbeitenden Gewerbes sanken im November um 5,4% im Monatsvergleich. Ökonomen hatten nach dem Rückgang von 1,5% im Oktober ein Minus von 0,2% erwartet. Allerdings verzerrten erneut die Großaufträge das Bild: Werden diese ausgeklammert, ergibt sich ein Bestellplus von 0,2%. Etwas positiver sieht der weniger volatile Dreimonatsvergleich aus: Zwischen September und November übertraf der Auftragseingang das Niveau der drei Monate zuvor insgesamt um 1,7% und ohne Großaufträge um 0,5%.

Bodenbildung statt Trendwende

Insgesamt zeigten die Zahlen, „dass es um die hiesige Industrie im abgelaufenen Jahr schlecht bestellt war“, betont LBBW-Ökonom Jens-Oliver Niklasch. Für 2025 sehe es bislang kaum besser aus. „Zu den mittlerweile altbekannten Belastungsfaktoren des Standortes Deutschland treten nun die Unwägbarkeiten der zweiten Trump-Präsidentschaft hinzu. Wir richten uns auf ein konjunkturell äußerst schwieriges Jahr ein.“ ING-Chefökonom Carsten Brzeski liest aus den Zahlen gleichfalls keine Trendwende, sondern bestenfalls eine Bodenbildung. „Diese schwachen Auftragsbestände in Verbindung mit den nach wie vor hohen Lagerbeständen verheißen nichts Gutes für die Industrieproduktion in den kommenden Monaten − auch wenn die Großaufträge die Zahlen in den letzten Monaten verwischt haben.“ Die Hoffnungen, dass die von der EZB im vergangenen Juni eingeleitete Zinswende die Wirtschaft anschiebt, werden bislang nicht erfüllt: „Offenbar entfalten die gesunkenen Leitzinsen noch keine belebende Wirkung“, schreibt Vincent Stamer von der Commerzbank. Auch mit Blick auf das Ifo-Geschäftsklima geht er „für das Winterhalbjahr allenfalls von einer Stagnation der deutschen Wirtschaft“ aus.

„Das Drama um den Auftragseingang erreicht den nächsten Akt“, resümiert Alexander Krüger, Chefvolkswirt der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank (HAL). Der Verweis auf fehlende Großaufträge sei nicht mehr als Schönrederei. „Die Themen Kapazitätsabbau, Stellenkürzungen und Abwanderung bleiben auf der Agenda.“ Die Vorgaben des Jahres 2024 – insbesondere die schwachen Auftragseingänge und die Risse am Arbeitsmarkt – werden nach Ansicht von VP-Bank-Chefökonom Thomas Gitzel das neue Jahr prägen. „Gespannt darf man indes auf die Maßnahmen der neuen Regierung sein. Die Herausforderungen könnten kaum größer sein.“ Während die einen Unternehmen Stellen abbauten, suchten andere Unternehmen händeringend Arbeitskräfte – „der demografische Wandel lässt grüßen“.

Nur geringe Auslandsnachfrage

Vor allem aus dem Ausland kamen im Monatsvergleich deutlich weniger Neubestellungen: Das Minus von 10,8% resultiert vor allem aus der schwächeren Nachfrage aus den Ländern außerhalb der Eurozone. Die Inlandsbestellungen kletterten hingegen um 3,8%.

Ausschlaggebend für die negative Entwicklung im November waren Destatis zufolge umfangreiche Großaufträge im Oktober für den sonstigen Fahrzeugbau, zu dem etwa Flugzeuge, Schiffe, Züge und Militärfahrzeuge gehören. „Dieses hohe Volumen an Großaufträgen blieb im November 2024 aus“, erklärten die Wiesbadener Statistiker. Daher sei der Auftragseingang in diesem Bereich um 58,4% eingebrochen. Rückgänge, die kaum auf das Gesamtergebnis durchschlugen, verzeichnen die Unternehmen der Metallerzeugung und -bearbeitung (−1,2%) sowie die weniger gewichtige Pharmaindustrie (−7,2%). Zuwächse vermeldeten hingegen der Maschinenbau (1,2%) und die Chemieindustrie (1,7%).

Lage der Chemie angespannt

In der Chemie belastet laut Ifo neben den hohen Belastungen durch Steuern, Bürokratie und Energiekosten „eine ungünstige Auftragslage“ die Geschäfte: Im Dezember fiel die Beurteilung des Auftragsbestands auf ein neues Tief seit 2009. Die Kapazitätsauslastung sei 2024 spürbar auf 75,4% gesunken, im Jahr 2021 waren es noch 86,0%, hieß es weiter. Die Chemieunternehmen würden weiterhin Stellenstreichungen planen. „Die Lage der Chemieunternehmen bleibt zum Jahreswechsel insgesamt angespannt“, sagte Ifo-Branchenexpertin Anna Wolf. Der Geschäftsklimaindex legte um 0,5 auf −11,4 Punkte im Dezember zu. Dabei wurde die aktuelle Lage schwächer, die Aussichten aber besser als im Vormonat beurteilt.

Jobsorgen bremsen Konsum

Die weiteren Aussichten für die Industrie sind trübe, wie auch das gesunkene Ifo-Geschäftsklima zeigt: „Die Auftragslage verschlechterte sich erneut“, erklärte Ifo-Präsident Clemens Fuest. „Produktionskürzungen sind angekündigt.“ Diese dürften sich in der Folge auch bei der Beschäftigung niederschlagen: „Der im Herbst von zahlreichen Unternehmen bekannt gegebene Stellenabbau passt hierzu“, sagt Gitzel. Ob sich in solch einem Umfeld der private Konsum erholen könne, bleibe fraglich. Dass sich die Konsumenten zurückhalten, wenn der Arbeitsplatz unsicher ist, zeigen die Einzelhandelsumsätze für den November, die laut Destatis kalender- und saisonbereinigt sowohl nominal als auch real um 0,6% zum Vormonat nachgaben.

Während der reale Umsatz im Einzelhandel mit Lebensmitteln um 0,1% im Monatsvergleich leicht zulegte, ergab sich für den Einzelhandel mit Nichtlebensmitteln ein Rückgang um 1,8%. Ursächlich war das Minus von 1,2% im Internet- und Versandhandel. „Das nahende Weihnachtsfest hat die Verbraucher kaum aus der Reserve gelockt“, analysiert HAL-Chefvolkswirt Krüger. „Der zurückliegenden Mini-Belebung ist damit bereits wieder die Luft ausgegangen.“

Hauptweihnachtssaison im November

Im Jahresvergleich hingegen meldet Destatis ein Erlöswachstum für November von real, also inflationsbereinigt, 2,5% und nominal von 3,5%. „In den vergangenen Jahren hat sich ein Teil des Weihnachtsgeschäfts durch Sonderaktionen in den Tagen rund um den ‚Black Friday‘ oder den ‚Cyber Monday‘, vor allem im Internet- und Versandhandel, zunehmend in den November vorverlagert“, erklärten die Wiesbadener Statistiker dazu.

Für das Gesamtjahr 2024 erwartet Destatis laut erster Schätzung ein Erlöswachstum des Einzelhandels von real 1,3% und nominal 2,7% zum Vorjahr. „Nachdem die reale Umsatzentwicklung im Einzelhandel im ersten Halbjahr 2024 gegenüber dem Vorjahreszeitraum rückläufig war (−0,4%), verzeichneten sie im zweiten Halbjahr einen Zuwachs von schätzungsweise 3,0%“, schlüsseln die Statistiker auf.

Im langjährigen Vergleich seit Beginn der Zeitreihe 1994 ordnen sie das Jahr 2024 wie folgt ein: So liegt der reale Jahresumsatz 2024 voraussichtlich um 2,7% unter dem 2021 erzielten Rekordhoch. Trotz der Rückgänge in den beiden Vorjahren, die mit den hohen Preissteigerungen begründet werden, werde aber das Vor-Corona-Niveau des Jahres 2019 voraussichtlich um 2,6% übertroffen.