Türkische Inflation gerät außer Kontrolle
rec Frankfurt
Die Folgen des Ukraine-Kriegs haben die außer Kontrolle geratene Inflation in der Türkei noch weiter befeuert. Der Anstieg der Verbraucherpreise beschleunigte sich nach Angaben des nationalen Statistikamts auf 61,1% – einen erneuten Höchststand in der Ära von Staatschef Recep Tayyip Erdogan. Das entsprach in etwa den Erwartungen von Ökonomen. Bei den Bonitätswächtern fällt die Türkei immer mehr in Ungnade. Jüngste Belege sind eine Herabstufung der Ratingagentur S&P und Warnungen von Scope.
Trotz der sich weiter verschärfenden Teuerungswelle ist nach wie vor nicht mit einem Eingreifen der Zentralbank zu rechnen. Die Währungshüter schauen den horrenden Preissteigerungen seit Monaten tatenlos zu, nachdem sie auf Geheiß Erdogans den Leitzins bis Dezember von 19 auf 14% gesenkt hatten. Damit ist eine heftige Währungskrise einhergegangen. Dass die Lira so tief gefallen ist, treibt nun über deutlich höhere Importpreise wiederum die Inflation an – und der Scheitelpunkt scheint noch immer nicht erreicht.
Ökonomen gehen davon aus, dass die Inflationsrate auch am Jahresende noch bei mehr als 50% stehen wird. Denn zu den hausgemachten Problemen kommen nun die Folgen des Ukraine-Kriegs in Form stark gestiegener Preise für Energie hinzu. Die Türkei importiert Energie zu weiten Teilen – nicht zuletzt aus Russland, weshalb Ankara die Sanktionen des Westens nicht mitträgt.
Besonders stark verteuerten sich im März die Spritpreise: Die Transportkosten – zu denen die Benzin- und Dieselkraftstoffe gezählt werden – verdoppelten sich binnen eines Jahres. Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke kosteten 70,3% mehr als im März 2021, während Konsumenten für Möbel 69,3% mehr bezahlen mussten.
Als Reaktion auf die enorm hohe Inflation hat Erdogan vor wenigen Tagen angekündigt, die Mehrwertsteuer auf verschiedene Produkte des täglichen Bedarfs zu senken. Für Reinigungsmittel, Toilettenpapier, Servietten und Babywindeln werden nun 8 statt 18% fällig. Die Notenbank ist bei der Inflationsbekämpfung hingegen weiterhin außen vor – worin Experten eine wesentliche Ursache für die galoppierende Inflation sehen. „Die Politik der Zentralbank funktioniert bei der Bekämpfung der Inflation einfach nicht“, sagte Analyst Tim Ash vom Vermögensverwalter Bluebay Asset Management. „Der Krieg in der Ukraine macht die Lage nur noch schlimmer.“
Ratingwächter reagieren
Die Ratingagentur S&P hat ihre Bewertung für die langfristigen Verbindlichkeiten in lokaler Währung auf „B+“ von „BB−“ gesenkt. Damit rutscht die Türkei immer tiefer in den Ramsch-Bereich, in dem Anlagen als hochspekulativ gelten. Der Ausblick bleibe „negativ“. Es droht somit eine weitere Herabstufung. Gründe seien unter anderem die hohe Inflation und die Währungskrise. Außerdem bekomme die Türkei die negativen Folgen des Ukraine-Kriegs zu spüren. Das langfristige Fremdwährungsrating bestätigte S&P indes mit „B+“.
Auch die Ratingagentur Scope sieht eine „Verschlechterung des Kreditprofils“. In einem am Montag veröffentlichten Bericht schreibt Analyst Dennis Shen: „Die nicht nachhaltige Wirtschaftspolitik, galoppierende Inflation und Währungsabwertungen erhöhen das Risiko einer schwerwiegenderen Zahlungsbilanzkrise sowie finanzieller und/oder politischer Krisen.“ Scope hat die Bonität für langfristige Fremdwährungsanleihen der Türkei zuletzt am 11. März auf „B−“ herabgestuft, bei anhaltend negativem Ausblick.