EZB und Zinspolitik

Unerreichbare geldpolitische „Normalität“

Die EZB zieht ihre Lehren aus der Niedrigzinsphase und muss die Nachwirkungen verdauen. Umgekehrt muss sich Berlin vorwerfen lassen, in dieser Zeit eine gute Gelegenheit für die Modernisierung des Standorts verpasst zu haben, kritisieren Ökonomen bei einer Debatte im TechQuartier.

Unerreichbare geldpolitische „Normalität“

Unerreichbare geldpolitische „Normalität“

Ökonomen-Debatte zu Lehren aus Negativzinsen und Anleihekäufen im TechQuartier

lz Frankfurt

Die „Normalität“ wird in der Geldpolitik auf absehbare Zeit wohl nicht Einzug halten: Die Nebenwirkungen der Niedrigzinspolitik seien noch überall spürbar, die unkonventionellen Maßnahmen wie Anleihekäufe in den Krisenzeiten seien inzwischen fester Bestandteil im Instrumentenkasten der Notenbanken geworden, und schließlich seien viele Krisen noch gar nicht ausgestanden, zumal sich neue Herausforderungen ankündigten, mahnen die Experten auf dem Podium des Bankenverbands, der am Mittwoch im TechQuartier zur Geldpolitik der EZB debattieren ließ.

Das Podium (vlnr): Emanuel Mönch (Frankfurt School), Tobias Linzert (EZB) und Holger Schmieding (Berenberg-Bank). Foto: Stephan Lorz

Auch die Frage nach dem wohl noch im Oktober anstehenden Zinsschritt hat vor diesem Hintergrund einen Bezug in die Vergangenheit: Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank, lobt die EZB zwar, dass sie in den Krisen „einen guten Job“ gemacht habe, allerdings neige sie dazu, Entscheidungen immer zu lange hinauszuzögern, und danach immer einen Schritt zu weit zu gehen. Finanzwissenschaftler Emanuel Mönch von der Frankfurt School hält die aktuelle Entscheidungsbasis für eine Zinssenkung aber auch insgesamt für recht anspruchsvoll, zumal eine Reihe von Aufwärtsrisiken für die Inflation bestünden.

Geldpolitik funktioniere oft wie unter einer Dusche, veranschaulichte EZB-Ökonom Tobias Linzert: „Wenn man die Wassertemperatur verändert, ist das Wasser auch danach entweder deutlich zu kalt oder zu heiß.“ Das müsse man zunächst hinnehmen, dann aber korrigieren. Zudem gebe es wie in Deutschland manchmal eine starke Asymmetrie in der Wahrnehmung: So würden Inflationsraten zwischen 1 und 3% hierzulande locker hingenommen, aber exakt ab 3% schrillten die Alarmglocken und man spreche dann von einem „hochkritischen Problem“.

„Berlin hätte klotzen müssen“

Die Kritik an der Niedrigzinspolitik, den Anleihekäufen und ihren Folgewirkungen kann Linzert nicht ganz nachvollziehen. Bislang sei die Insolvenzwelle ausgeblieben, die Ökonomen mit Verweis auf die zinsbedingt zu lockere Kreditvergabe an wackelige Unternehmen vorhergesagt hätten. Und wer beklage, dass die deutschen Sparer in der Niedrigzinspolitik schlecht weggekommen seien, müsse sich nur an den deutschen Staat wenden, der Zinsgewinne eingestrichen und auch sonst davon profitiert hätte. Einen Teil der Gewinne hätte Berlin ja auch an die Bürger ausschütten können.

Große Sorgen machen sich alle drei Ökonomen über die zu schwache Produktivität Europas. Hier, so Mönch, hätte der deutsche Staat in der Niedrigzinsphase größeren Spielraum gehabt zur Modernisierung des Standorts über höhere Verschuldung und mehr Investitionen. „Berlin hätte klotzen müssen und sich nicht so sehr auf die Schwarze Null konzentrieren dürfen“. Diese Chance sei versäumt worden.

Was die Analyse des früheren EZB-Chefs Mario Draghi angeht, der in einer viel beachteten Studie der EU dramatische Wettbewerbsschwächen attestiert hat, so pflichteten die Ökonomen der Diagnose bei. Sie verwiesen aber darauf, dass dies nicht allein durch staatliche Mehrausgaben kompensiert werden könne, sondern vor allem an der vergleichsweise schlechten Finanzierungslage liege. Europa sei in der Forschung ganz vorn, aber bei der Umsetzung und der Vermarktung ganz hinten. Hierfür müssten sich die Finanzierungsbedingungen in Europa verbessern, forderte Schmieding.

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