Bundestagswahl

Wahlversprechen jenseits der Finanzierbarkeit

Steuersenkungen, Subventionen und höhere Sozialtransfers sollen die Wähler für einzelne Parteien einnehmen. Doch das alles führt nur zu mehr Schulden, warnt das Ifo-Institut. Die vorgeschlagenen Gegenfinanzierungen für die Wahlgeschenke sind unzureichend.

Wahlversprechen jenseits der Finanzierbarkeit

Versprechen jenseits der Finanzierbarkeit

Ökonomen warnen vor exorbitanten Kosten in den Wahlprogrammen – Muss die Schuldenbremse fallen?

Die Wahlversprechen der Parteien sind mit hohen Einnahmeausfällen und enormen Mehrausgaben für den Fiskus verbunden. Eine Gegenfinanzierung wird meist nur rudimentär angeboten. Am Ende steht eine höhere Staatsverschuldung. Die wäre nur durch ein einkehrendes nachhaltig höheres Wachstum zu legitimieren.

lz Frankfurt
Von Stephan Lorz, Frankfurt

Steuerentlastungen, höhere Sozialtransfers und Subventionen, mehr staatliche Investitionen – in den Wahlprogrammen stecken große Versprechungen, die den Bürgern, den Privathaushalten und der Wirtschaft zugutekommen sollen. Sie belasten den Fiskus mit hohen zweistelligen Milliardensummen. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat berechnet, dass die Vorschläge von FDP, AfD und BSW sich auf knapp unter oder deutlich über 3% des Bruttoinlandsprodukts belaufen – also auf Höhe des zulässigen Defizits. Doch das ist schon jetzt überstrapaziert. Bei den Unionsparteien sind es 2,1%, bei Grünen 1,1% und bei der SPD 0,7%. LBBW-Chefvolkswirt Moritz Kraemer fordert daher: „Keine leeren Versprechungen!“

Dabei sind einige zwingende Etatposten diesbezüglich noch gar nicht berücksichtigt: deutlich höhere Verteidigungsausgaben, enorme Milliardenbeträge, um die Infrastruktur wieder in Schuss zu bringen, und noch höhere Ausgaben, um die Klimatransformation im Energiesektor weiter voranzutreiben.

Hoffnungswert Sondervermögen

Um die zusätzlichen Ausgaben gegenzufinanzieren, machen die Parteien nur wenige, auf jeden Fall aber unzureichende Vorschläge. Das gilt insbesondere für jene Parteien, die an der verfassungsmäßigen Schuldenbremse festhalten wollen. Andere versprechen, die Lücke durch „Milliardärsteuern“ oder höhere Spitzensteuersätze zu schließen. Und quer durch alle Parteien schwadronieren viele von neuen „Sondervermögen“, die nötig seien angesichts der enormen Herausforderungen. „Sondervermögen“ aber sind nichts anderes als optisch hübscher verpackte neue Schulden.

Auch die stets unterstellten „Selbstfinanzierungseffekte“ werden meist überschätzt, weil sie sich erst deutlich später oder nicht im erhofften Ausmaß einstellen, wie Ökonomen einwenden. Zwar können Steuersenkungen, weniger Bürokratie und Investitionsanreize das Wirtschaftswachstum und im Nachgang auch die Steuereinnahmen steigern. Gleichzeitig würde sich natürlich im Zuge eines besseren Konjunkturklimas die Stimmung heben in Wirtschaft und Privathaushalten, weshalb diese wieder mehr investieren und konsumieren. Aber wie hoch sind diese Effekte wirklich?

Gewaltige Mindereinnahmen

Das Ifo-Institut hat die Haushaltsbelastungen aufgrund der Wahlversprechen durchgerechnet – und auch beziffert, was mögliche Zweit- und Drittrundeneffekte bewirken würden. So würde das Reformkonzept von CDU/CSU zu jährlich 97 Mrd. Euro an Mindereinnahmen des Staates führen. Weiter gehen die Forderungen bei der FDP, die 142 Mrd. Euro kosten würden. Die Vorschläge zu Steuersenkungen würden zwar die Arbeitsanreize stärken, schreiben die Ökonomen, doch reiche dies nicht aus, um die negativen Effekte für den Staatshaushalt auch nur annähernd auszugleichen. Die Eigenfinanzierungsquote liegt nur bei etwa 10%, rechnet Ifo-Ökonom Maximilian Blömer vor.

SPD und Grüne vermeiden zwar die Ankündigung größerer Reformen und bieten fiskalisch eher ausgeglichene Forderungen im Steuer- und Transfersystem an. Doch auch hier sind die Finanzierungslücken groß – und die Wachstumswirkungen vernachlässigbar.

AfD und BSW überbieten die Steuergeschenke der meisten anderen Parteien nochmals deutlich. Die Nachhaltigkeit dieser Versprechungen bleibe bei den meisten Programmen jedoch unklar, sodass Steuererhöhungen oder eine höhere Verschuldung notwendig wären, argumentieren die Ifo-Forscher. Die Linke etwa legt Pläne beim Steuer- und Transfersystem vor, die starke negative Arbeitsanreize setzen, indem sie vorwiegend die unteren Einkommen begünstigen, die Sozialtransfers erhöhen und verstärkt Gutverdiener und Unternehmen zur Finanzierung heranziehen. Mögliche positive Wirkungen auf die öffentlichen Haushalte werden nach den Ifo-Berechnungen nahezu komplett durch Zweit- und Drittwirkungen zunichtegemacht.

Steuerpolitischer Elefant im Raum

Um die Größenordnung der Finanzlücken zu illustrieren, nehmen die Ifo-Forscher den Mehrwertsteuersatz in den Blick und haben errechnet, wie hoch dieser von aktuell 19% steigen müsste, um den Haushalt wieder auszugleichen. Ergebnis: Der reguläre Satz müsste je nach Partei auf bis zu 29,88% zulegen, und der ermäßigte auf bis zu 17,88%.

Der Blick auf den Mehrwertsteuersatz ist dabei nicht nur eine „Illustration“, wie die Vergangenheit zeigt. Schon früher wurden Wahlversprechen letztendlich mit einer Steigerung des Steuersatzes finanziert. 2006 wurde der Satz unter Schwarz-Rot gleich um drei Punkte auf 19% hochgeschleust, weil man sich nicht einigen konnte, die Kosten der Wahlversprechen etwa durch Kürzungen oder deutlich höhere Defizite zu finanzieren. Auch aktuell scheint es laut Wahlumfragen auf eine Schwarz-Rote-Koalition hinauszulaufen. DIW-Forscher Stefan Bach spricht vom „steuerpolitischen Elefanten im Raum“.

„Berücksichtigt man dies, relativieren sich die ganz großen Steuergeschenke schnell, bei denen oftmals nur in den oberen Einkommen etwas übrigbleibt“, sagt Lilly Fischer, Ko-Autorin der Ifo-Studie.  Es erscheine deshalb eher „unwahrscheinlich, dass die kostenintensiven Maßnahmen als Gesamtpakete in den Koalitionsverhandlungen nach der Wahl durchgesetzt werden können“. Die Forscher schlagen vor, statt gleich eine Reihe großer Reformen anzupacken, man eher eine gestaffelte Umsetzung angehen sollte über mehrere Jahre. Auch das hebt wegen ihrer Stetigkeit und Absehbarkeit die Zuversicht von Unternehmen und Konsumenten – und bringt sie dazu, mehr zu investieren und zu konsumieren.

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