Wahrnehmung der Inflationstreiber ändert sich
Wahrnehmung der Inflationstreiber ändert sich
EZB-Studie: Lohnwachstum gewinnt an Bedeutung, Unternehmensprofite verlieren dagegen
mpi Frankfurt
Verbraucher in der Eurozone sehen zunehmend das hohe Lohnwachstum als wesentlichen Treiber für den Inflationsanstieg in den Jahren 2022 und 2023 an. Dennoch bleibt eine große Mehrheit dabei, dass es hauptsächlich hohe Energie- und Rohstoffkosten waren, die die Teuerung in dieser Zeit in die Höhe getrieben haben. Das geht aus einer am Dienstag veröffentlichten Studie der EZB hervor. „Zu verstehen, wie die Verbraucher die Inflationsfaktoren wahrnehmen, ist entscheidend für die Interpretation von Veränderungen ihrer Inflationserwartungen, die realwirtschaftliche Entscheidungen erheblich beeinflussen können“, gibt die Notenbank als Motivation für die Untersuchung an.
Für diese hat die EZB im Rahmen ihrer Umfrage Consumer Expectation Survey (CES) im Juni 2023 und im März 2024 die Verbraucher der Eurozone befragt, welche der folgenden drei Optionen für den Inflationsanstieg hauptverantwortlich war: Unternehmensprofite, Lohnwachstum oder andere Produktionskosten für Unternehmen wie steigende Energie- und Rohstoffpreise. Zu beiden Zeitpunkten nannten über 60% die anderen Produktionskosten als Haupttreiber. Deutliche Unterschiede gab es aber bei der Gewichtung der beiden weiteren Faktoren. Im März 2024 nannten mit fast 15% der Befragten rund fünf Prozentpunkte weniger die Unternehmensgewinne. Im Gegenzug wählten 20% das Lohnwachstum, was einer Zunahme von sechs Prozentpunkten entspricht.
Neues Narrativ
Damit folgen die Änderungen in der Wahrnehmung der vergangenen Inflationstreiber den aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen. „Solche Veränderungen zeigen, wie sich die Erzählungen über die Inflation in der Wahrnehmung der Verbraucher über die wichtigsten Inflationsfaktoren widerspiegeln, was sich wiederum auf die Bildung ihrer Inflationserwartungen auswirken kann“, schreibt die EZB. „Dies unterstreicht, wie wichtig es ist, Veränderungen in den Inflationserzählungen zu beobachten.“
Die Löhne in der Eurozone haben als Reaktion auf den Inflationsanstieg deutlich zugelegt. Nach Jahren der Reallohnverluste liegt das Lohnwachstum inzwischen über der Inflationsrate. Die EZB erwartet, dass sich das Lohnwachstum in den kommenden Quartalen verlangsamen wird. Zudem rechnet die Notenbank damit, dass auch die Profitmargen der Unternehmen in Zukunft einen geringeren Inflationsdruck ausüben.
Selbsterfüllende Prophezeiung
Die Inflationserwartungen der Verbraucher sind für die Geldpolitik ein wichtiges Kriterium. Passen Konsumenten beispielsweise in Erwartung stark steigender Preise ihr Verhalten an und kaufen nach Möglichkeit lieber heute als morgen, dann verstärkt das den Inflationsdruck. Hohe Inflationserwartungen können daher zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden.
Für eine Notenbank ist es daher zentral, dass die Inflationserwartungen mittelfristig nicht deutlich über dem Inflationsziel liegen. Die Wichtigkeit dessen unterstrich der französische Notenbankchef und EZB-Rat François Villeroy de Galhau vergangene Woche in einer Panel-Diskussion in Washington auf der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank. Hätten sich die Inflationserwartungen in der Phase der hohen Inflation 2022/2023 stark vom Zwei-Prozent-Ziel entfernt, hätte die EZB laut dem Franzosen die Leitzinsen nicht um die erfolgten 450 Basispunkte, sondern um rund 800 erhöhen müssen, um die zu hohe Teuerung wieder auf den Zielwert zu senken. Die Folge wäre ein um 2% niedrigeres Wirtschaftswachstum in der Eurozone gewesen – und damit eine Rezession.
Bei der jüngsten Ausgabe des Consumer Expectation Survey, die am Freitag veröffentlicht wurde, gaben die Befragten an, innerhalb der kommenden zwölf Monate mit einer Inflation von 2,4% zu rechnen.