ExklusivKonjunkturampel

Weiche Landung ist noch nicht sicher

Die Konjunkturampel von Börsen-Zeitung und Kiel Economics steht derzeit zwischen Gelb und Rot: Eine weiche Landung ist also noch nicht garantiert. Das Rezessionsrisiko liegt derzeit bei 66%. Die zuletzt unerfreulich ausgefallenen Daten mahnen vor zu großem Optimismus.

Weiche Landung ist noch nicht sicher

Weiche Landung ist noch nicht sicher

Konjunkturampel für die deutsche Wirtschaft steht zwischen gelb und rot − Umfragen und harte Daten zeigen ein wenig schmeichelhaftes Bild

Die vielfach propagierte weiche Landung der deutschen Wirtschaft ist alles andere als sicher, wie die Konjunkturampel von Börsen-Zeitung und Kiel Economics zeigt. Das Rezessionsrisiko liegt derzeit bei 66%. Die zuletzt unerfreulich ausgefallenen Daten mahnen vor zu großem Optimismus.

Von Alexandra Baude, Frankfurt

Die zuletzt veröffentlichten Konjunkturdaten für Deutschland zeichnen ein reichlich unerfreuliches Bild. Dass die Dynamik wie bislang erwartet tatsächlich im zweiten Halbjahr anzieht, gilt nicht mehr als gesetzt. Auch die Konjunkturampel von Börsen-Zeitung und Kiel Economics gibt kein eindeutiges Signal. Mit einer Rezessionswahrscheinlichkeit von 66% steht sie genau zwischen gelb und rot. Noch ist es also „knapp unentschieden, ob 2024 ein weiteres Jahr mit einem rückläufigen realen Bruttoinlandsprodukt, was in der Diktion der Ampel als Rezession gilt, sein wird“, kommentiert Carsten-Patrick Meier, Leiter von Kiel Economics, einer Ausgründung aus dem Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW): „Eine weiche Landung ist noch nicht garantiert!“

Diese Einschätzung hatte auch EZB-Präsidentin Christine Lagardes Anfang Juli auf dem Zentralbankforum im portugiesischen Sintra abgegeben, wenn auch mit Blick auf die Konjunktur im Euroraum insgesamt. Sie stützte sich dabei auf eine dort vorgestellte Studie zu den geldpolitischen Zyklen von neun Ländern bzw. Regionen über die Jahre 1970 bis 2022, derzufolge es nach einem Energiepreisschock in nur 15% der untersuchten Fälle nicht zu einer Rezession kam.

Schlusslicht Deutschland

Diese Aussage gilt umso mehr für Deutschland, wie Meier betont − dem Euro-Land, in dem die Konjunktur spätestens seit Beginn des Ukrainekriegs und dem folgenden Energiepreisschock am schwächsten ist, und das einzige Größere, das bereits 2023 in der Rezession war. „Der jüngst veröffentlichte Kranz von Daten mit gesamtwirtschaftlicher Relevanz für Deutschland hat dies eindrucksvoll in Erinnerung gerufen.“

Auf Rezessionsniveau

Start der Serie an Negativmeldungen waren die Geschäftsklimaumfragen im Juni. Rückgänge bei Geschäftserwartungen und Lageeinschätzung von 2 bzw. 1 Punkt zum Vormonat erfolgten von ohnehin bereits niedrigen Niveaus, wie sie zuvor typischerweise im Umfeld von Rezessionen − wenn auch nicht in deren Tiefpunkten − zu beobachten waren. Gleichzeitig trübte sich das GfK-Konsumklima nach Monaten der Verbesserung erstmals wieder ein. Ökonomen erwarten bei den für die anstehenden Umfrageergebnissen − Einkaufsmanagerindex und GfK (beide Mittwoch) sowie das Ifo Geschäftsklima (Donnerstag) − jeweils eine leichte Erholung, die am trüben Gesamtbild jedoch nur wenig ändern dürfte.

Harte Daten enttäuschend

Die harten Indikatoren für Mai fielen durchweg enttäuschend aus. Das verarbeitende Gewerbe drosselte die Produktion um 2,5% zum Vormonat, die Industrieproduktion im engeren Sinne fiel sogar um 2,9%, die Bauproduktion um 3,3%. Kalenderunregelmäßigkeiten, die Ökonomen als mögliche Erklärung herangezogen hatten, dürften Meier zufolge den Einbruch „eher nicht erklären können“: Pfingsten lieg etwa jedes zweite Jahr im Mai, Fronleichnam und der anschließende Brückentag jedes dritte Jahr. „Solche Regelmäßigkeiten dürfte das Bereinigungsverfahren zu berücksichtigen in der Lage sein.“ Vom Kalender weniger beeinflusst sind die Auftragseingänge, deren langanhaltende Abnahme sich im Mai fortsetzte. Preisbereinigt haben sie mittlerweile ein Niveau wie zuletzt Ende 2012 erreicht. Im Gesamtjahr 2024 werden sie voraussichtlich um mehr als 10% unter Vorjahr zu liegen kommen.

Industrie braucht noch etwas

Rückläufig war auch der Außenhandel: Bei den Importen sei dies Reflex der schwachen Industriekonjunktur im Inland, bei den Exporten deute es auf eine ebensolche im Ausland hin, erklärte Meier. Dies gelte insbesondere für den wichtigsten Handelspartner Deutschlands, die USA, wo der Einkaufsmanagerindex für die Industrie seit Ende 2011 mit nur einer Ausnahme unter der Expansionsschwelle von 50 Zählern liege. Konjunkturtreiber waren bislang die Dienstleistungen, die typischerweise einen deutlich geringeren Außenhandelsanteil haben. Im Juni rutschte aber auch deren Einkaufsmanagerindex in den Kontraktionsbereich. Die Binnenkonjunktur in China ist vor dem Hintergrund der Immobilienkrise ebenfalls weiter schwach. „Dem übrigen Euroraum geht es konjunkturell zwar etwas besser als Deutschland, der Unterschied ist aber nicht sehr groß“, so Meier.

Einigkeit bei der Vorhersage einer untypischen Erholung

Rund um den Globus wird derzeit überall eine Konjunkturerholung prognostiziert, wenn auch eine langsame. Spätestens seit Ende 2023 seien sich die Prognostiker einig, „dass es trotz der massiven Zinserhöhungen der Jahre 2022 und 2023 anders als in früheren Zinszyklen nicht zu einer Rezession kommt“. Eine Erklärung für eine solche, nach historischen Maßstäben eher anormale makroökonomische Entwicklung, wird Meier zufolge in der Regel nicht gegeben. An mangelnder Stärke des zurückliegenden Zinsschocks könne es nicht liegen: Laut der Studie zu den Zinszyklen der letzten 55 Jahre hätten die wichtigen Notenbanken in den vergangenen zwei Jahren auf den Inflationsanstieg im Vergleich zu früher zwar zunächst zu zögerlich reagiert, dann aber besonders aggressiv und zudem in sehr hohem Maße international synchronisiert.

Außerdem seien die Zinsen im Vergleich zu früheren Zyklen nach Erreichen des zyklischen Höhepunkts bislang vergleichsweise lange unangetastet geblieben. Frühere Straffungszyklen endeten zumeist früher und der Ausstieg erfolgte nicht selten international synchronisiert – nämlich als Reaktion auf den Beginn einer globalen Rezession oder Krise.

Corona-Pandemie wirkt nach

Eine Möglichkeit besteht für Meier darin, „dass die Zinserhöhungen zwar wie gewohnt auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage gewirkt haben, dass aber die Nachwirkungen der Corona-Pandemie mit ihrem aufgestauten Konsum und die nachfolgenden Verwerfungen des internationalen Handels und die Lieferengpässe den Zyklus zeitlich gestreckt haben – und zwar sowohl in Deutschland als auch weltweit“.

Orderpolster erschwert Prognose

Tatsächlich seien hierzulande Nachfrageindikatoren seit Beginn der Zinserhöhungen stark rückläufig: Das Volumen der Inlandsaufträge der Industrie ist seit Januar 2022 um 20%, das der Auslandsaufträge um 22% und die zum Bau genehmigte Wohnfläche um 28% gesunken – die Produktion nur um 8,2%. Die Verwerfungen der Corona-Pandemie hatten zu historisch hohen Auftragsbeständen geführt, die noch abgearbeitet werden konnten bzw. nach wie vor werden.

Diese Polster erschwerten die Prognosen zusätzlich. Der Auftragsbestand liegt noch um 20% über dem Wert von vor der Pandemie. Im Herbst 2022 waren es 33%. Die Polster haben das Potential, die Produktionswirkungen des Nachfrageeinbruchs zu dämpfen. In welchem Umfang ist laut Meier ungewiss. Unterstelle man, dass die Teilnehmer der Ifo-Umfragen dies bei ihren Beurteilungen berücksichtigten, „so fragt man sich, warum die entsprechenden Indizes im Rezessionsbereich liegen – wenn auch nicht sehr stark“.

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