Weiterer EZB-Kurs nimmt Kontur an
ms Frankfurt
Wenige Wochen vor der zentralen EZB-Sitzung Mitte März kristallisiert sich der weitere Kurs der Euro-Hüter immer stärker heraus. Aussagen führender Notenbanker legen nahe, dass die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) im dritten Quartal ganz eingestellt werden könnten. Das würde die Tür für eine Zinserhöhung noch in diesem Jahr öffnen – die aber bislang keineswegs sicher scheint. Die Entscheidung könnte demnach im Juni fallen. In jedem Fall zeichnet sich derzeit keine drastische Zinswende oder Straffung wie in den USA ab.
Trotz der Rekordinflation im Euroraum hatte die EZB lange Zeit keinerlei Anstalten gemacht oder allenfalls zaghafte Schritte unternommen, aus der ultralockeren Geldpolitik der Coronakrise auszusteigen – anders als die US-Notenbank Fed oder die Bank of England. Das sorgte gerade in Deutschland wieder für heftige Kritik. In den vergangenen Wochen hat aber angesichts der hartnäckig hohen Inflation ein gewisses Umdenken im EZB-Rat stattgefunden. Bei der Sitzung Anfang Februar hatte EZB-Präsidentin Christine Lagarde eine raschere Zinswende nicht mehr ausgeschlossen. Nun richten sich alle Blicke auf die März-Sitzung, wenn es auch neue EZB-Inflationsprognosen gibt.
Aufhorchen ließen jetzt vor allem Aussagen des französischen Zentralbankchefs François Villeroy de Galhau, der sich so detailliert wie kein Euro-Notenbanker vor ihm zum weiteren Kurs äußerte. Seine Worte finden stets besonderes Gehör, weil er häufig Mehrheitsmeinungen im EZB-Rat wiedergibt und in der Vergangenheit immer wieder wichtige Signale gegeben hat. Im November 2021 hatte er etwa im Interview der Börsen-Zeitung de facto einiges von dem vorweggenommen, was später Mitte Dezember entschieden wurde (vgl. BZ vom 23.11.2021).
Villeroy de Galhau sagte am Dienstagabend, dass das breite EZB-Anleihekaufprogramm APP im dritten Quartal eingestellt werden könnte. Er glaube immer noch daran, dass eine gewisse Übergangsphase zwischen dem avisierten Ende des Corona-Notfallanleihekaufprogramms PEPP im März und dem Ende des APP nützlich sei. Nach aktuellem Stand soll das APP-Kaufvolumen nach dem PEPP-Ende vorübergehend sogar aufgestockt werden. Eine Reduktion der allgemeinen Käufe könne dann aber auch monatlich oder alle zwei Monate statt nur quartalsweise erfolgen, sagte Villeroy: „Damit könnten die APP-Käufe im dritten Quartal enden, zu einem noch zu diskutierenden Zeitpunkt.“ Bislang ist das APP mit keinem Enddatum versehen.
In die gleiche Kerbe schlug dann am Mittwoch auch der lettische Notenbankchef Martins Kazaks. Er könne sich ein Ende der EZB-Anleihekäufe in diesem Jahr vorstellen, möglicherweise im dritten Quartal, sagte er laut Bloomberg. Und dazu passen auch Aussagen von EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel am Mittwoch. Sie sagte in einem Interview der „Financial Times“, es gebe Argumente, die für ein Ende der Anleihekäufe sprechen. Ihr Nutzen rechtfertige womöglich die zusätzlichen Kosten nicht, so Schnabel.
Ein Ende der Nettokäufe würde die Tür für eine Zinserhöhung öffnen. EZB-Ratsmitglied Kazaks sagte nun, dass es „gut möglich“ sei, dass die EZB noch in diesem Jahr die Leitzinsen anhebt. In die gleiche Richtung hatten sich zuvor Bundesbankpräsident Joachim Nagel und der niederländische Zentralbankchef Klaas Knot geäußert. Schnabel warnte jetzt, dass mit den neuen Daten das Risiko steige, dass die EZB zu spät handle.
Die Meinungen über das angemessene Datum für eine erste Zinserhöhung scheinen aber noch auseinanderzugehen. Nicht alle Euro-Notenbanker sind wohl überzeugt, dass eine erste Zinserhöhung noch 2022 nötig sein wird. Villeroy de Galhau sagte nun, dass der EZB-Rat diese Entscheidung nicht vor der Juni-Sitzung treffen müsse. Zugleich brachte er ins Spiel, den aktuellen Zinsausblick (Forward Guidance) zu ändern. Derzeit sieht dieser vor, dass die Zinsen „kurz“ nach Ende der Nettokäufe angehoben werden. Villeroy de Galhau sprach sich dafür aus, das Wort „kurz“ zu streichen. Das schaffe mehr Flexibilität. Vor allem aber würde es eine längere Pause zwischen dem Ende der Käufe und einer ersten Zinserhöhung ermöglichen.
Villeroy de Galhau sprach zudem aus, was zumindest viele EZB-Granden zu denken scheinen. Er betonte, dass es bei den künftigen Schritten der EZB nicht um eine Straffung der Geldpolitik gehe, sondern um eine „Normalisierung“. Damit dürfte vor allem ein Ende der Anleihekäufe gemeint sein (vgl. BZ vom 10.12.2021). Es gehe darum, wieder einen stärker „neutralen“ geldpolitischen Kurs einzuschlagen, so der Franzose.