Wie Deutschland seine wirtschaftliche Abhängigkeit von China senken könnte
Wie Deutschland seine Abhängigkeit von China reduzieren könnte
Reform der Raumplanung könnte laut BDI Bergbau fördern – Freihandelsabkommen mit Mercosur und Australien im Fokus – Vorschlag für Stresstests
mpi Frankfurt
Seltene Erden, Eisen oder Magnesium: Die Liste an Waren, die Deutschland hauptsächlich aus China importiert, ist lang. Rund 300 Produktgruppen hat das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in einer Studie identifiziert, deren Einfuhrwert 2021 über 10 Mill. Euro lag und die zu über 50% aus China kommen. Bei 211 ist der chinesische Anteil 2022 sogar größer geworden – allen Debatten um eine zu hohe wirtschaftliche Abhängigkeit von China zum Trotz.
Gabriel Felbermayr, Präsident des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung, und Oliver Krebs von der ETH Zürich kommen in einer gemeinsamen Berechnung zu dem Schluss, dass im Falle einer Entkoppelung der EU von China die deutsche Wirtschaftsleistung dauerhaft um 1% sinken würde, das entspräche einem Rückgang um circa 36 Mrd. Euro pro Jahr. Und das nur unter der Voraussetzung, dass es gelingt, alternative Lieferanten zu finden. Mindestens kurzfristig wäre der Wohlstandsverlust damit noch deutlich größer.
Wie realistisch das Schreckensszenario Entkoppelung ist – etwa aufgrund eines chinesischen Angriffs auf Taiwan – wissen nur die Auguren. Die Gefahr von Ausfällen bei bestimmten Produkten ist jedoch bereits jetzt real, wie etwa die jüngst verkündeten chinesischen Exportkontrollen für die Metalle Germanium und Gallium zeigen. „Rohstoffe werden zunehmend als geopolitische Waffe eingesetzt“, sagt Matthias Wachter, Abteilungsleiter für Internationale Zusammenarbeit, Sicherheit, Rohstoffe und Raumfahrt beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), in Hinblick auch auf die russischen Gasexporte. „Bei einigen kritischen und strategischen Metallen ist die deutsche Abhängigkeit von China bereits heute größer, als sie es bei Gas aus Russland war.“
Großer chinesischer Einfluss in Afrika
„Es wäre ratsam, wenn deutsche Unternehmen mit hohen Importquoten aus China ihre Lieferquellen zu diversifizieren versuchen“, sagt Rolf Langhammer, Handelsforscher am Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW). Chinesische Firmen beeinflussen zudem auch außerhalb ihres Heimatlandes Lieferketten, indem sie beispielsweise in Indien Produktionsstandorte haben. Außerdem hat der chinesische Staat gerade in Afrika aufgrund seiner Investitionen auf dem Kontinent Einfluss auf dortige Regierungen, was im Falle eines großen Handelskonflikts mit dem Westen noch eine Rolle spielen könnte.
Sowohl Wachter als auch Langhammer raten Unternehmen, genau zu analysieren, wie wichtig die wirtschaftlichen Beziehungen zu China für das eigene Geschäftsmodell sind und welche Auswirkungen ein teilweiser oder kompletter Ausfall von chinesischen Importen hätte. „Bei einigen Unternehmen wäre es sinnvoll, wenn sie sich selbst einer Art Stresstest unterziehen würden, um auf den Fall eines Ausfalls vorbereitet zu sein“, meint Langhammer.
Grundsätzlich sollten sich Unternehmen mit hohem Importanteil aus China laut dem Ökonomen fragen, ob sie die Waren in der Produktion substituieren oder zumindest den Verbrauch reduzieren können und ob es alternative Lieferquellen gibt. Und ob eine Rentabilität der Produktion bei steigenden Importpreisen nach einem Ausfall von Ausfuhren aus China noch gegeben ist bzw. wie sie sichergestellt werden kann.
Förderung des deutschen Bergbaus
„Alles was wir kurzfristig diversifizieren, muss woanders zu höheren Preisen beschafft werden“, so Langhammer. Manche Rohstoffe könnte Deutschland sogarselbst fördern. Hierzulande gibt es Vorkommen an Lithium und Kobalt, die etwa bei der Batterieproduktion wichtig sind, sowie einige der Seltenen Erden, die unter anderem für die Herstellung von Halbleitern zum Einsatz kommen. „Das reicht für eine Unabhängigkeit nicht aus, könnte aber einen wichtigen Beitrag zur eigenen Versorgung leisten und Abhängigkeiten reduzieren“, erklärt Wachter. Der BDI spricht sich daher für eine Förderung der heimischen Rohstoffgewinnung aus, indem etwa der Bergbau bei der Raumplanung von Bund, Ländern und Kommunen einen höheren Stellenwert erhält. Zudem sollte das Volumen von Garantien für ungebundene Finanzkredite (UFK) erhöht werden, um Betriebe bei der Diversifizierung von Bezugsquellen zu unterstützen.
Auch in Frankreich und Großbritannien gibt es Pläne, Lithium im eigenen Land zu fördern. Die Förderung von Lithium oder Seltenen Erden in Europa dürfte jedoch teurer werden als in China. Zudem wird der Umweltschutz bei der Förderung von Rohstoffen eine Herausforderung.
Verhandlungen um Freihandelsabkommen stocken
Neue Bezugsquellen für kritische Rohstoffe kann sich die EU auch außerhalb von Europa erschließen. Gerade Australien, Indonesien und Südamerika gelten aufgrund ihrer Rohstoffvorkommen als interessant. Deshalb fordern Vertreter der deutschen Wirtschaft eine rasche Ratifizierung von Freihandelsabkommen.
Ein Abschluss der seit 2018 laufenden Verhandlungen mit Australien am Rande des Nato-Gipfels diese Woche in Litauen war nicht zustande gekommen. Man habe sich zwar weiter angenähert, doch „es bedarf weiterer Arbeit, um wichtige offene Fragen anzugehen“, sagte ein EU-Kommissionssprecher. Noch langwieriger sind die Verhandlungen mit dem lateinamerikanischen Staatenbund Mercosur, die seit fast 20 Jahren andauern. Zwar gab es 2019 eine Einigung, doch bis heute ist das Abkommen nicht ratifiziert – unter anderem weil die EU eine Zusicherung möchte, dass ein verstärkter Handel nicht zur einer Abholzung von Regenwald führt, diese Zusicherung möchte Brasilien jedoch nicht geben. Die EU hofft nun, unter der spanischen Ratspräsidentschaft beim Gipfeltreffen mit lateinamerikanischen und karibischen Staaten in der kommenden Woche substanzielle Fortschritte zu erzielen.
Matthias Wachter vom BDI sieht die Politik auch darin gefordert, aus seiner Sicht bestehende politische Zielkonflikte aufzulösen. Durch die Einführung des Lieferkettengesetzes sei es für Unternehmen noch schwieriger geworden, alternative Bezugsquellen zu China, etwa in Afrika, aufzubauen. „In der Folge ziehen sich erste deutsche Unternehmen aus Afrika zurück, was sowohl der wirtschaftlichen Entwicklung vor Ort als auch den Diversifizierungsbemühungen schadet“, meint Wachter. Das Lieferkettengesetz und auch das geplante Pendant der EU sollten daher aus Sicht des BDI so gestaltet werden, dass sie mit dem Ziel der Versorgungssicherheit bei kritischen Rohstoffen im Einklang stehen.
Eine andere Variante, um die Abhängigkeit von Importen aus China bei Rohstoffen zu senken, ist, diese in der Produktion durch andere zu ersetzen. Bei der Herstellung von Batterien für Elektroautos gibt es bereits die Möglichkeit, Kobalt zu substituieren. Forscher arbeiten derzeit daran, diese Batterievariante reichenweitenstärker zu machen. Die weltweite Kobaltproduktion stammt zwar zu rund 75% aus der Demokratischen Republik Kongo, doch werden 15 der 19 Förderanlagen in dem zentralafrikanischen Staat von chinesischen Unternehmen betrieben. „China ist heute überall“, sagt Langhammer.