InterviewDanyal Bayaz, Finanzminister Baden-Württemberg

„Wir sind nicht happy über die Performance in Berlin“

Der baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) verlangt einen politischen Kurswechsel der Ampelregierung, hält sie aber für inzwischen zu kraftlos, um doch noch eine Agenda 2030 für den Wirtschaftsstandort aufzulegen.

„Wir sind nicht happy über die Performance in Berlin“

Im Interview: Danyal Bayaz

"Wir sind nicht happy über die Performance in Berlin“

Baden-Württembergs Finanzminister über die schleppende Klimatransformation, den nötigen politischen Kurswechsel und die Rolle der Finanzmärkte

Der baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz verlangt einen politischen Kurswechsel der Ampelregierung, hält sie aber für inzwischen zu kraftlos, um doch noch eine Agenda 2030 für den Wirtschaftsstandort aufzulegen. Fehler bei der Klimatransformation räumt er mit Verweis auf die hohe Komplexität ein und verlangt von seiner Partei stärker auf Marktwirtschaft statt Mikromanagement zu setzen und dabei die Finanzmärkte stärker einzuspannen.

In jüngster Zeit, so scheint es, sorgen sich die Grünen bei der Klimatransformation vor allem um die Wohlhabenden in diesem Land: Heim-Ladeboxen für Eigenheimbesitzer wurden früh gefördert, für Mieter nicht; mit der Neuregelung für Elektrodienstwagen wird die Luxusautostrategie von Mercedes, Porsche & Co. gestützt, weniger die Kleinwagen. Geht Umwelt vor Soziales?

Entscheidend ist doch, ob eine Politik für den Wirtschaftsstandort Sinn macht. Und was der Automobilbranche hilft, auch künftig erfolgreich zu sein, ist auch gut für das Bundesland Baden-Württemberg. Die Förderungen sind ein Baustein, um den Hochlauf der Elektromobilität zu beschleunigen. Aber natürlich muss man da den gesamten Markt im Blick behalten. Gerade bei den niedrigpreisigen E-Autos müssen wir wettbewerbsfähiger werden. Das kommt im Moment in der Tat etwas zu kurz.

Warum fallen Sie dann nicht Mercedes in den Arm, da der Konzern offenbar kein Interesse mehr an niedrigpreisigen Autos wie der A-Klasse hat?

Ich bin nicht der bessere Manager. Und schon früher hat Mercedes auch ein besonderes Augenmerk auf das Luxussegment der Oberklasse gesetzt und war damit erfolgreich. Ob das auch bei der Elektromobilität so ist, muss das Management entscheiden. Einige Experten haben daran durchaus Zweifel und votieren gerade beim E-Auto für einen breiteren Ansatz. Ich höre aber auch, dass da ein paar Modelle in der Pipeline sind.

Viele der Koalitionsrituale kann ich nicht mehr nachvollziehen.

Danyal Bayaz

Auch der Ampelregierung gelingt es nur schwer, die eigene Politik zu vermitteln: Erst Bürgergeld und Rentenreform, dann eine Wachstumsinitiative, die diesen Kurs zum Teil wieder korrigiert. Was raten Sie Ihren Parteifreunden in Berlin?

Wir sind in Baden-Württemberg nicht happy über die Performance in Berlin. Viele der Koalitionsrituale kann ich nicht mehr nachvollziehen. Über die jüngste Haushaltseinigung bin ich aber sehr erleichtert. Wenn eine demokratische Regierung nicht in der Lage wäre, in diesen herausfordernden Zeiten einen Haushaltsentwurf vorzulegen, wäre es schlecht um das Land bestellt und würde die Menschen noch weiter verunsichern.

Der Grünen-Politiker Danyal Bayaz ist seit 2021 Finanzminister der Landesregierung von Baden-Württemberg. Finanzfragen sind ihm nicht fremd oder aufgezwungen, sondern haben ihn seit jeher interessiert. So promovierte er an der Universität Stuttgart-Hohenheim über Private Equity, verbrachte dann als Fullbright-Stipendiat einen Forschungsaufenthalt an der Cornell University in New York. Und vor seinen politischen Ämtern war er Projektleiter bei der Boston Consulting Group (BCG) unter anderem für Kunden aus dem Banking und dem öffentlichen Sektor. 2017 kam er über die Landesliste in den Bundestag, war dort ordentliches Mitglied im Finanzausschuss und in der Enquete-Kommission für künstliche Intelligenz.

Doch den Standort so richtig nach vorne bringen kann der vorgelegte Haushaltsentwurf ja auch nicht.

Ist es ein großer Wurf? Nein. Ist es die Agenda 2030, die wir dringend bräuchten? Nein, ist es nicht. Aber es ist ein Schritt nach vorn. Die Kraftwerksstrategie ist auf den Weg gebracht, es gibt mehr steuerliche Förderung für Investitionen und eine höhere Forschungszulage. Die Anreize zum Arbeiten sowohl mit Bürgergeld wie im Rentenalter wurden verbessert. Auf allen Ebenen immer noch zu wenig, zu zaghaft– aber trotzdem ein wichtiger Schritt.

Ein Teil der Häme und Kritik, die den Grünen entgegenschlägt, liegt ja in der Klimapolitik begründet. Stichwort: Heizungsgesetz. Und zuletzt hatte eine Fehlfunktion an der Pariser Strombörse offengelegt, dass die deutsche Stromversorgung ohne Stromimporte auf einen Blackout zusteuern würde. Hat die Regierung die Komplexität der Klimatransformation unterschätzt?

Was mich in der Debatte wundert, ist, dass wir beim Strom offenbar gerne Autarkie hätten, aber in allen anderen Wirtschaftsbereichen auf den europäischen Binnenmarkt und internationalen Handel setzen. Es macht doch Sinn, Strom zu einer Zeit aus dem Ausland zu kaufen, wenn er dort billiger ist. Und alle, die jetzt mit der Atomkraft argumentieren: Den Grundstoff Uran müssen wir ja auch aus dem Ausland besorgen. Und beim Gas ist es ebenso.

Es ist beim Strom aus Souveränitätsgründen schon sinnvoll, möglichst viel selbst zu produzieren.

Danyal Bayaz

… aber dort ist die laufende Produktion gesichert.

Es ist beim Strom aus Souveränitätsgründen schon sinnvoll, möglichst viel selbst zu produzieren. Allerdings könnten wir beim Netzausbau viel weiter sein, wenn nicht der frühere bayerische Ministerpräsidenten Horst Seehofer auf Erdverkabelung bestanden hätte. Das hat den Netzausbau gebremst. Und viele Investitionen in die Energieinfrastruktur wurden von früheren Bundesregierungen vernachlässigt oder gar unterlassen.

Aber damals hatte man ja noch eine andere Energiestruktur im Blick mit Atomkraft und Kohlekraftwerken.

Sicher, aber es wurde auch zu wenig für den dringend notwendigen Umbau der Energieversorgung getan. Das komplexe Zusammenspiel von Netzausbau, Zubau von Erneuerbaren, Backup-Gaskraftwerken und Stromspeichern ist allerdings komplex und diese Herausforderung wurde sicherlich zum Teil unterschätzt. Insofern brauchen wir jetzt keine weiteren Zielvereinbarungen etwa im Hinblick auf den CO2-Ausstoß oder noch mehr Ausstiegsbeschlüsse, sondern müssen die Instrumente nutzen, die uns effektiv weiterbringen. Da geht es auch um Verlässlichkeit. Und hierbei dürfen wir uns nicht mehr wie zuletzt in Mikromanagement verzetteln, sondern sollten mehr auf Marktanreize setzen, um die Marktmechanismen besser wirken zu lassen.

Die Unternehmen brauchen aber auch mehr Planungssicherheit. Daran fehlt es nach wie vor.

Ich bin großer Anhänger der CO2-Bepreisung und des CO2-Zertifikatehandels, weil nicht bürokratisch oder politisch entschieden wird, wo welche Tonne CO2 eingespart werden muss, sondern der Markt das regelt. Aber es fehlt in der Tat an Vertrauen an der Stabilität staatlicher Preisregeln. Dass der Staat nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine erst einmal die CO2-Preisschritte ausgesetzt und einen Tankrabatt eingeräumt hat, torpediert jede Planung. Aber ohne stabile Rahmenbedingungen und ohne soziale Flankierung mit dem Klimageld werden wir insgesamt nicht entscheidend vorankommen bei der Modernisierung unseres Wirtschaftsstandorts.

Warum ist das nicht schon längst passiert?

Ich will keine Vergangenheitsbewältigung betreiben. Entscheidend ist, dass wir jetzt die richtigen Schlüsse ziehen.

Ich würde Finanzmärkte nicht romantisieren, aber auch nicht verteufeln.

Danyal Bayaz

Aber hat die Bundesregierung für die nötigen Rahmenbedingungen eigentlich genügen finanzielle Mittel? Ohne Rückgriff auf den Finanzmarkt, den viele in Ihrer Partei eher als Tummelplatz für Spekulanten begreifen denn als Werkzeug für die Transformation, dürfte es nicht gehen.

Ich würde Finanzmärkte nicht romantisieren, aber auch nicht verteufeln. Sie sind für mich Teil der Lösung und nicht Teil des Problems. Schließlich brauchen wir sie dringend für die Wirtschaftsmodernisierung. Insofern lautet mein Appell an meine Partei: Lasst uns auch Börsen-und Kapitalmarktpartei sein! Wir haben ja keinen Mangel an Kapital, sondern wir müssen es da hinlenken, wo es gebraucht wird. Und das können die Märkte leisten.

Wie kann die Politik das befördern?

Unser Energiekonzern EnBW, an dem wir beteiligt sind, hat eine Beteiligung am Stromnetzbetreiber veräußert, so dass jetzt auch private Investoren ihr Kapital dort investieren können. Und mit dem Einstieg in das Generationenkapital für die private Altersvorsorge gibt es künftig ebenfalls die Möglichkeit, das dort gesparte Geld in die Klimatransformation zu lenken. Auch unsere Pensionsrücklagen im Ländle in Höhe von 17 Mrd. Euro legen wir in diesem Sinne und im Einklang mit dem 1,5-Grad-Ziel nachhaltig an.

Die Finanzmärkte sind ein extrem intelligenter Mechanismus, um zu zeigen, wo Kapital im Moment besonders dringlich gebraucht wird und wo es rentabel ist.

Danyal Bayaz

Und dringen Sie damit in Ihrer Partei durch?

Ich denke schon. Es geht ja nicht darum, Märkten blind zu vertrauen, sondern Kapital eine Richtung zu geben. Die Finanzmärkte sind ein extrem intelligenter Mechanismus, um zu zeigen, wo Kapital im Moment besonders dringlich gebraucht wird und wo es rentabel ist.

Sie gehen da sehr pragmatisch an die Sache ran. Die Bürger verlangen auch konkrete Lösungen und keine ideologischen Wolkenkuckucksheime. Stoßen Sie hier in Parteigremien bisweilen auf Widerstand?

Jede Partei pflegt gewisse Rituale und Folklore auf Parteitagen. Das ist ein Spannungsverhältnis, mit dem man klarkommen muss. Natürlich dürfen und müssen Parteien ambitionierte Ziele formulieren. Aber Realpolitik heißt, jeden Tag Kompromisse zu machen. Mir sind kleine Schritte wichtiger als große Utopien.

War dann Bundeswirtschaftsminister Habeck beim Heizungsgesetz zu ideologisch, weil er den Widerstand der Bevölkerung unterschätzt hat.

Das war ein Fehler, ja. Man muss Rücksicht auf Veränderungsgeschwindigkeiten in der Gesellschaft nehmen. Aber es spricht ja ihn, dass er das korrigiert hat.  

Ich halte Sätze wie das „You never walk alone“ des Kanzlers für gefährlich.

Danyal Bayaz

Das gilt ja auch für viele anderen Transformationen, in denen wir uns momentan befinden. Der Arbeitsmarkt verändert sich: hier Facharbeitermangel, dort – etwa bei den Autozulieferern – Entlassungen. Wie bringt man das zusammen?

Wir haben ja auch schon frühere Automatisierungs- und Rationalisierungswellen überstanden. Aber ich habe bisweilen den Eindruck, dass man inzwischen viel offensiver von der Politik erwartet, dass sie den Menschen jegliche Zumutungen abnimmt; und wenn das nicht geschieht, gleich mit politischen Konsequenzen droht. Daher halte ich Sätze wie das „You never walk alone“ des Kanzlers für gefährlich. Es steht vielmehr für Status Quo statt für Veränderung. Entscheidend ist, dass man den Menschen ein positives Bild der Zukunft zeigt und offenkundig alles tut, um das auch zu erreichen. Aber auch ehrlich sagt, dass es ohne technologische und gesellschaftliche Veränderungen nicht gehen wird.

Gerade in der Transformation ist entscheidend, dass Deutschland bei Forschung & Entwicklung (F&E) international vorne mitspielt, um den Menschen auch ein gewisses Maß an Sicherheit zu vermitteln. Hier scheinen wir allerdings Boden zu verlieren – bei der künstlichen Intelligenz und der Elektromobilität. Was tun?

Es gibt eine Kennzahl, die für mich zentral für die Zukunftsfähigkeit einer Region ist: Das Verhältnis von F&E-Ausgaben zur Wirtschaftsleistung (BIP). Hier ist Baden-Württemberg mit 5,6% europaweit führend, vor Bayern mit 3,4% und dem Bund mit knapp 3%. Wir müssen uns also nicht verstecken. Und daraus schöpfe ich auch viel Optimismus, dass wir diese Modernisierung gut hinbekommen.

Es darf natürlich nicht jedes mögliche Risiko schon von vornherein wegreguliert und verbürokratisiert werden.

Danyal Bayaz

Aber treibt es Sie dann nicht um, wenn gerade viele Forscher kritisieren, dass Deutschland zu viel auf Regulierung und Bürokratie setzt, statt die kreativen Kräfte wirken zu lassen?

Kreativität, unternehmerisches Schaffen und der Arbeits- und Aufstiegswille dürfen unter keinen Umständen gebremst werden. Das scheint aber in der Tat der Fall zu sein, wie die schwachen Zuwächse bei der Produktivität zeigen. Hier muss die Regierung ansetzen. Zudem darf natürlich nicht jedes mögliche Risiko schon von vornherein wegreguliert und verbürokratisiert werden. Da tun wir uns keinen Gefallen.

Das sagt sich leicht. In der aktuellen Regulierung – ich verweise hier auf den AI-Act, die Lieferkettenverordnung und die Taxonomie – geht es ja in die Gegenrichtung.

In der Tat, Politiker haben schon viele Sonntagsreden zum Abbau der Bürokratie gehalten. Ministerpräsident Winfried Kretschmann spricht hier vom Brombeergestrüpp, das man zurückstutzen muss. Dabei tut man sich weh, und es ist viel kleinteilige Arbeit. Aber da müssen wir ran, sonst verlieren wir den Anschluss. Und wir arbeiten daran in Baden-Württemberg, machen auch andernorts, etwa in Berlin, auf solche Missstände aufmerksam. Und dass der Bundeswirtschaftsminister zuletzt signalisiert hat, das deutsche Lieferkettengesetz auszusetzen, ist auch ein gutes Signal mit der Botschaft: Wir haben verstanden!

Aber überall fehlt es an Geld zur Umsetzung existentieller Vorhaben: Die Infrastruktur ist an vielen Stellen marode, bei der Digitalisierung hängt man hinterher, die Bundeswehr ist nur bedingt abwehrbereit, die Klimatransformation kommt nicht in Gang und künstliche Intelligenz treibt einen Keil in die Gesellschaft. Woher nehmen, ohne die Schuldenbremse zu lösen?

Viele der Baustellen, die Sie nennen, gab es bereits vor der Ampelkoalition. Denken sie an die Bundeswehr, die marode Bahn, die fatale Abhängigkeit vom russischen Gas. Wir haben einen gigantischen Investitionsbedarf, den wir nur dann stemmen können, wenn wir die Vorhaben von der Tagespolitik und von Wahlzyklen abkoppeln. Daher finde ich die Vorschläge des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) und des Instituts für Makroökonomie (IWK) sowie des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI) interessant: Die Schuldenbremse nicht anfassen, aber ein Sondervermögen bilden für die zentralen Investitionsvorhaben. Nach dem historisch strengen Urteil aus Karlsruhe, das unseren finanziellen Bewegungsspielraum massiv eingeengt hat, fehlt mir einfach die Phantasie, wie wir die Investitionswende ansonsten regulär hinbekommen könnten.

Wir brauchen einen großen Pakt, der jeder Partei auch etwas abverlangt.

Danyal Bayaz

Aber dazu benötigen sie auch die Opposition.

Ja, wir brauchen einen großen Pakt, der jeder Partei auch etwas abverlangt: Weniger Bürokratie, echte Reformen bei Bürgergeld und Rente, eine Steuerreform für Unternehmen, Mut zur klaren Prioritätensitzung von Investitionen – und erst dann das Sondervermögen. Nur dann kriegen wir das auch durch.

Wie realistisch halten Sie so ein Vorhaben unter den aktuellen politischen Rahmenbedingungen?

Mir fehlt der Glaube, dass diese Koalition noch einmal die Kraft dazu findet. Aber die nächste Regierung – egal wie sie sich zusammensetzt – wird nicht anders können, als eine Agenda 2030 aufzulegen, um den Standort wieder nach vorn zu bringen als attraktives Investitionsland. Die neue Geopolitik, die Herausforderung der Transformation und die aktuelle Kassenlage werden eine neue Realpolitik der öffentlichen Haushalte quasi erzwingen.

Das Interview führte Stephan Lorz.

Das Interview führte Stephan Lorz.

Mehr zum Thema:

Der Standort D braucht mehr Kapitalmarktfinanzierungen

Ifo-Chef Clemens Fuest zur deutschen Investitionslücke

Kommentar zur Investitionspolitik

Interview mit NKR-Präsidenten Lutz Goebel

Kommentar: Deutschlands Standortsklerose

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.