Rachel Reeves verteilt bittere Pillen
Rachel Reeves verteilt bittere Pillen
Labour-Schatzkanzlerin erhöht Steuerbelastung um insgesamt 40 Mrd. Pfund
hip London
Die britische Schatzkanzlerin Rachel Reeves hat in ihrem Haushaltsentwurf Steuererhöhungen von insgesamt 40 Mrd. Pfund vorgesehen. Damit sollen der National Health Service (NHS) und andere öffentliche Dienstleistungen auf eine solide Grundlage gestellt werden. Von Gewerkschaften des öffentlichen Diensts wie Unison wurde Reeves dafür gefeiert.
Der Haushalt weckte Erinnerungen an das Budget von John Majors Schatzkanzler Norman Lamont, dem es 1993 ebenfalls um eine Stabilisierung der Lage ging, nachdem Großbritannien das Europäische Währungssystem verlassen hatte. Gemessen an der Größe der Volkswirtschaft war Reeves' Erhöhung der Steuerbelastung allerdings etwas kleiner.
Wenig Spielraum
Weil Labour vor den Wahlen am 4. Juli versprochen hatte, weder Einkommenssteuer noch Sozialversicherungsbeiträge oder die Mehrwertsteuer zu erhöhen, hatte Reeves wenig Spielraum, um die staatlichen Einnahmen zu steigern. Sie entschied sich am Ende für eine Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitgeber um 1,2 Prozentpunkte auf 15%, die 25 Mrd. Pfund einspielen soll.
Das ist nicht nur deshalb problematisch, weil damit Beschäftigung besteuert wird. Man darf davon ausgehen, dass die Arbeitgeber die höheren Abgaben im Laufe der Zeit in Form niedrigerer Löhne an die Arbeitnehmer weiterreichen werden.
„Schwierige Wahl“
„Ich treffe diese Entscheidung nicht leichtfertig“, sagte Reeves. Sie verwies dabei erneut auf das angeblich von der konservativen Vorgängerregierung geerbte „schwarze Loch“ in den öffentlichen Finanzen, das Labour anfangs auf 22 Mrd. Pfund bezifferte. Es musste bereits als Grund dafür herhalten, Rentnern den Heizkostenzuschuss zu streichen.
„Die Erhöhung der Kapitalertragssteuer auf Anlageimmobilien wird Vermieter dazu motivieren, den Mietmarkt zu verlassen.“
Ingrid McCleave, Partnerin bei DMH Stallard
Reeves erhöhte zudem die Kapitalertragssteuer und den Aufschlag auf die Stempelsteuer für Mietobjekte und Zweitwohnsitze. „Die Erhöhung der Kapitalertragssteuer auf Anlageimmobilien wird Vermieter dazu motivieren, den Mietmarkt zu verlassen“, sagte Ingrid McCleave, Partnerin bei der Kanzlei DMH Stallard. Das reduziere das Mietwohnungsangebot und führe zu stärker steigenden Mieten.
Mindestlohn steigt
Auch Alkohol und Tabak werden künftig stärker besteuert. Ab 2026 wird zudem eine neue Steuer auf Liquids für E-Zigaretten eingeführt. Die Kraftstoffsteuer bleibt jedoch vorerst eingefroren. Das dürfte bei vielen, die auf ihr Auto angewiesen sind, positiv aufgenommen werden. Reeves hatte noch eine weitere gute Nachricht für arbeitende Menschen: Der gesetzliche Mindestlohn soll im April für Menschen über 21 Jahren um 6,7% auf 12,21 Pfund steigen.
Ab April 2028 soll zudem Schluss sein mit der kalten Progression. Dann werden sowohl der Steuerfreibetrag als auch die Schwellenwerte für die Steuerklassen wieder mit der Inflation steigen.
Steigende Neuverschuldung
Die Neuverschuldung soll in der gesamten Legislaturperiode um insgesamt 100 Mrd. Pfund steigen. Es ist der erste Haushalt einer Labour-Regierung seit 14 Jahren. Reeves ist die erste Frau, die das Amt in den acht Jahrhunderten seines Bestehens ausübt. Sie klammerte bei der öffentlichen Verschuldung die Verluste der Bank of England aus dem Quantitative Tightening aus, um mehr Spielraum zu haben.
„Es mag durchaus sinnvoll sein, gewisse Staatsbeteiligungen und Ähnliches nicht mehr in die Schuldenregeln einzubeziehen, um Spielraum für notwendige Investitionen zu schaffen“, hieß es dazu seitens der Deutsch-Britischen Industrie- und Handelskammer. „Dass dies aber gerade zum jetzigen Zeitpunkt geschieht, wird nicht immer von allen Seiten begrüßt.“
Abverkauf am Gilt-Markt
Am Bondmarkt wurden britische Staatsanleihen (Gilts) abverkauft. Die Renditen zehnjähriger Titel stiegen nach Reeves' Auftritt im Unterhaus auf bis zu 4,37%. Damit näherten sie sich stark den 4,43%, die im September 2022 erreicht wurden, nachdem Liz Truss' Schatzkanzler Kwasi Kwarteng sein nicht gegenfinanziertes „Mini-Budget“ vorstellte.
Reeves ließ ihr Werk zwar von den unabhängigen Haushaltshütern des Office for Budget Responsibility (OBR) begutachten. Doch mehr als Einschätzungen von Volkswirten zählt am Finanzmarkt, ob die Anleger einer Regierung abnehmen, dass sie für Wachstum sorgen kann.
NHS profitiert
Ein Blick auf die Ausgabenseite weckt Zweifel daran. Das marode öffentliche Gesundheitswesen erhält 25 Mrd. Pfund zusätzlich. Davon sollen aber lediglich 3,1 Mrd. Pfund für dringend nötige Investitionen wie die Sanierung baufälliger Krankenhäuser verwendet werden. Der Rest fließt ins Tagesgeschäft und finanziert damit großzügige Tarifabschlüsse für streikfreudige NHS-Mitarbeiter.
Das OBR geht davon aus, dass die Steuererhöhungen das Wachstum langfristig dämpfen werden. Für das laufende Jahr unterstellen sie eine Expansion des Bruttoinlandsprodukts von 1,1%. Im Kommenden Jahr rechnen sie mit einem Wachstum von 2%, das dann bis 2027 auf 1,5% zurückgehen dürfte. Damit liege es für den Rest des Prognosezeitraums unter dem auf 1,66% geschätzten Potentialwachstum. Labour war angetreten, das Vereinigte Königreich zum am stärksten wachsenden G7-Land zu machen.
„Die Wachstumsziele für das kommende Jahr sind ambitioniert und es gibt keine Garantie dafür, dass die Gilt-Renditen in Zukunft bei den Kosten für den Schuldendienst helfen werden“
Neil Mehta, Portfoliomanager bei RBC Bluebay
Ambitionierte Ziele
„Die Wachstumsziele für das kommende Jahr sind ambitioniert und es gibt keine Garantie dafür, dass die Gilt-Renditen in Zukunft bei den Kosten für den Schuldendienst helfen werden“, sagte Neil Mehta, Portfoliomanager bei RBC Bluebay. Es bestehe das Risiko, dass Labour in Zukunft bei den im Wahlprogramm ausgeschlossenen Steuererhöhungen eine Kehrtwende vollziehen oder die Neuverschuldung erhöhen müsse.
Der Deutsche-Bank-Volkswirt Sanjay Raja betonte, dass die Märkte ein wesentlich höheres Gilt-Emissionsvolumen verdauen müssten als bislang angekommen. Die Neuverschuldung werde am Ende des Jahrzehnts um fast 30 Mrd. Pfund pro Jahr höher sein.