Wissings Veto verhindert Abstimmung über Verbrenner-Aus
ahe/rec Berlin/Brüssel
Wegen des Widerstands von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) müssen die EU-Staaten die finale Abstimmung über das Verbrenner-Aus verschieben. Die schwedische Ratspräsidentschaft hat das für Dienstag geplante Votum von der Tagesordnung gestrichen. Ohne Deutschlands Zustimmung gibt es nicht die erforderliche Mehrheit unter den EU-Staaten – und Wissing bekräftigte am Freitag sein Veto.
Es handelt sich um einen höchst ungewöhnlichen Vorgang. Mitgliedstaaten, EU-Parlament und EU-Kommission haben sich eigentlich längst auf Einzelheiten verschärfter CO2-Emissionsgrenzen geeinigt. De facto dürfen mit den neuen Regeln ab 2035 keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr in der EU auf den Markt. Das soll die Elektromobilität fördern. Die Zustimmung der EU-Staaten galt als Formalie.
Verkehrsminister Wissing zwingt die Beteiligten nun auf den letzten Metern zu einer Vollbremsung. Italien, Bulgarien und Polen haben bereits klargestellt, gegen die Übereinkunft zu stimmen. Deutschland kommt in der EU besondere Bedeutung zu. Das liegt an den Abstimmungsmodalitäten: In Summe müssen die Befürworter im Ministerrat mindestens 65% der Gesamtbevölkerung der EU vertreten. Enthält sich die Bundesregierung, scheitert die Abstimmung.
Wissing bekräftigte Freitag, dass Deutschland unter den gegebenen Umständen nicht zustimmen würde. Er bestätigte zugleich, dass er darüber mit EU-Kommissionsvize Frans Timmermans gesprochen habe. Dieser habe ihm signalisiert, dass ein kurzfristiger Vorschlag aus Brüssel für die von Wissing geforderte Ausnahme für sogenannte E-Fuels nicht möglich sei. Ein Sprecher des von den Grünen geführten Umweltministeriums dringt auf schnelle Klärung.
Hintertür für E-Fuels
Für den Einsatz synthetischer Kraftstoffe über 2034 hinaus lässt das Kompromisspaket eine Hintertür. Die EU-Kommission muss dafür eigens eine Regelung vorschlagen. Das Interesse an einem solchen Vorschlag sei in der EU-Kommission aber offenbar auch schon vorher nur sehr begrenzt vorhanden gewesen, kritisierte Wissing am Rande der Vorstellung einer Verkehrsprognose in Berlin. Er wies Kritik an dem Vorgehen seiner Partei in Sachen E-Fuels zurück. Die FDP sei extrem verlässlich und handele nach dem, was sie immer angekündigt habe. „Was fehlt, ist der Vorschlag der Kommission.“ Eine Sprecherin der EU-Kommission sagte, man arbeite daran.
Auf Antrag der CDU/CSU beriet auch der Bundestag am Freitag über klimaneutrale Kraftstoffe im Verkehr. Die Union forderte die Bundesregierung auf, das geplante Verbrenner-Aus in Brüssel doch noch zu stoppen. Derzeit werde nur einseitig auf den Elektroantrieb gesetzt, monierte der verkehrspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thomas Bareiß. Demgegenüber seien Biokraftstoffe schon jetzt preisgünstig und klimaneutral verfügbar. Durch den Einsatz von beispielsweise Biodiesel könne der Fahrzeugbestand schnell klimafreundlicher fahren. Bareiß begrüßte, dass Verkehrsminister Wissing die Notbremse gezogen habe. „Niemand, der Klimaschutz ernst nimmt, kann auf Biokraftstoffe verzichten.“
Unterstützung in der Sache bekommt Bareiß von Parteikollegen aus dem Europaparlament. Jens Gieseke, verkehrspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Gruppe, spricht Wissing seine „volle Unterstützung“ zu. Mit Nachdruck verweist Gieseke auf das vorgeschlagene Anrechnungssystem für synthetische Kraftstoffe. „Das wäre genau der Kompromissvorschlag, den es jetzt braucht.“
Harsche Kritik hagelt es an der Art der Verhandlungsführung – auch von Seiten der Union. Gieseke ätzt, die Bundesregierung präsentiere sich in Brüssel als „Chaostruppe“. Auch der Grünen-Parlamentarier Michael Bloss, klimapolitischer Sprecher seiner Fraktion, spricht von Chaos. Wiederholt mussten Probeabstimmungen unter den EU-Diplomaten verschoben werden. Das sei eine „Blamage für Deutschland“, findet Bloss.
Striktere Emissionsvorgaben für den Verkehrssektor sind zentraler Baustein der EU-Klimapolitik. Das erklärt die heftigen Reaktionen der Grünen. Deutsche Industrieverbände fühlen sich hingegen durch Wissings Veto in ihren Rufen nach Technologieoffenheit ermuntert.