IMK-Analyse

Wohlstand sinkt seit 2000 deutlich

Die Flutkatastrophe von 2021 zeigt deutlich die Defizite, den Wohlstand einer Volkswirtschaft nur mit dem BIP zu messen. Für nachhaltiges Wachstum allerdings müssten Umweltkosten und Ungleichheit reduziert werden, heißt es beim IMK.

Wohlstand sinkt seit 2000 deutlich

Die deutsche Wirtschaft hat sich gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) selbst in Zeiten von Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg und Energiekrise ganz ordentlich geschlagen – der Nationale Wohlfahrtsindex (NWI) zeigt hingegen, dass der Wohlstand seit der Jahrtausendwende deutlich abgenommen hat. Für den Rückgang 2021 war vor allem die Flutkatastrophe an Ahr und Erft im Spätsommer ursächlich, heißt es in einer Auswertung des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). 2022 dürfte der Wohlstand wegen des aufholenden Konsums voraussichtlich zunehmen. Für eine nachhaltige Steigerung müssten aber Umweltkosten und Einkommensungleichheit reduziert werden, schreiben die Forscher Benjamin Held, Dorothee Rodenhäuser und Hans Diefenbacher vom Institut für Interdisziplinäre Forschung (FEST) in Heidelberg, das den NWI jährlich im Auftrag des IMK berechnet.

Der NWI erweitert den Blick, den das BIP auf die gesellschaftliche Entwicklung liefert um wohlfahrtsrelevante ökonomische, ökologische und soziale Aspekte im Zusammenhang mit den Wirtschaftsaktivitäten. Er besteht aus 21 Komponenten, von denen sechs wohlfahrtssteigernd, die übrigen wohlfahrtsmindernd wirken. Zur ersten Gruppe zählen vor allem die privaten Konsumausgaben, aber auch die des Staates sowie nicht über den Markt bezahlte Wertschöpfung durch Haus- und Familienarbeit und Ehrenamt. Zu den wohlfahrtsmindernden Komponenten zählen Kosten der Ungleichheit, Effekte durch das Pendeln, Verkehrsunfälle, Kriminalität sowie Alkohol-, Tabak- und Drogenkonsum und der Bereich der Umwelt. So sinkt der NWI bei geringerem Konsum, zunehmender Luftverschmutzung oder ungleicher werdender Einkommensverteilung.

Bei zugleich rentabler und umweltfreundlicher Produktion, hoher Beschäftigung und guten Löhnen hingegen steigt der NWI. Die Autoren verweisen allerdings darauf, dass auch der NWI die gesellschaftliche Wohlfahrt nicht in allen Facetten abzubilden vermag, im Vorjahresvergleich aber erkennen lässt, in welche Richtung sich Volkswirtschaft und Gesellschaft entwickelt haben.

2021 ist der NWI um 1,8 Indexpunkte auf 94,6 gefallen. Das Wohlfahrtsniveau des Jahres 2000 entspricht dem Indexwert 100. Die Forscher erklärten den Rückgang damit, dass die Schäden der Flutkatastrophe von über 30 Mrd. Euro als „die größte wohlfahrtsmindernde Änderung“ des Jahres negativ in den NWI eingingen. Auch die ansteigenden Emissionen von Treibhausgasen, ein erhöhter Verbrauch fossiler Energieträger sowie eine sich abzeichnende „leichte Erhöhung der Einkommensungleichheit“ wirkten sich negativ aus.

Das BIP hingegen stieg 2021 um 2,6%. Im BIP allerdings, so schreiben die FEST-Forscher, schlägt sich die Flutkatastrophe nicht umfassend wieder „oder möglicherweise sogar mit umgekehrten Vorzeichen“. Sollten die Ausgaben für den Wiederaufbau die Produktionsausfälle durch die Zerstörungen überstiegen haben, wäre ein Teil des ausgewiesenen Wirtschaftswachstums eine Folge der Katastrophe. Ohne die Flut wäre der NWI 2021 konstant geblieben.

Die vergangenen 30 Jahre vermittelt das BIP den Forschern zufolge ein anderes Bild als der NWI: Die Zeitreihe des BIP in den Jahren 1991 bis 2021 erwecke den Eindruck eines beinahe kontinuierlichen Fortschritts seit der deutschen Wiedervereinigung, der nur durch die globale Finanzkrise 2008/2009 und den Ausbruch der Corona-Pandemie 2020 unterbrochen wurde. Der NWI hingegen zeige einen „Wechsel zwischen Auf und Ab mit einem heutigen Wohlfahrtsniveau, das dem von 1995 entspricht“, so Held, Rodenhäuser und Diefenbacher.

Auf eine deutliche Wohlstandssteigerung in den 1990er Jahren folgten Phasen der Verschlechterung (1999 bis 2005), der Stagnation (2005 bis 2013) sowie der Steigerung (2013 bis 2019). Erst 2019 erreichte der NWI wieder knapp das Niveau der Jahrtausendwende. Das Plus von 1991 bis 2019 betrug dabei nicht einmal ein Drittel der Steigerung, die das BIP aufwies, betonen die Forscher. Als Ursache der langen Phase ohne Fortschritt machen sie vor allem die höhere Ungleichheit und Umweltbelastungen aus.

Dies sind auch die beiden Stellschrauben für ein höheres Wachstum: Bei der Umsetzung von Klima- und Energiezielen könnte der NWI bis 2030 auf einen Wert von 108,8 Punkten steigen. Würde die Ungleichheit reduziert, wäre ein Stand von 111,3 Zählern möglich – träfen beide Szenarien ein, würde der NWI bei 125,5 Punkten liegen.