Unerwartet starker Rückgang

ZEW-Konjunkturerwartungen fallen erstmals seit einem Jahr

Der ohnehin nicht allzu rosige Blick der Finanzmarktexperten auf die deutsche Wirtschaft fällt zur Jahresmitte noch trüber aus als erwartet: Das ZEW-Barometer gab erstmals seit einem Jahr nach. Zudem ist das Rezessionsrisiko gestiegen. Neben politischer Unsicherheit spielt die Industrieschwäche die größte Rolle.

ZEW-Konjunkturerwartungen fallen erstmals seit einem Jahr

ZEW-Index sinkt erstmals seit einem Jahr

Lage wird aber besser als erwartet eingeschätzt − Rezessionsrisiko steigt −Konjunktursorgen nehmen zu

Der ohnehin nicht allzu rosige Blick der Finanzmarktexperten auf die deutsche Wirtschaft fällt zur Jahresmitte trüber aus als erwartet: Das ZEW-Barometer gab erstmals seit einem Jahr nach. Zudem ist das Rezessionsrisiko gestiegen. Neben politischer Unsicherheit spielt die Industrieschwäche die größte Rolle.

ba Frankfurt

Die Zeichen verdichten sich, dass die für das zweite Halbjahr erwartete Konjunkturerholung wohl doch zäher verlaufen wird als bislang gedacht. Nicht nur, dass Börsenprofis im Juli zum ersten Mal seit einem Jahr pessimistischer auf die kommenden Monate blicken, auch das Rezessionsrisiko ist erstmals seit Jahresanfang leicht gestiegen. Die schwachen strukturellen Rahmenbedingungen und die derzeit herrschende Unsicherheit begrenzen das Wachstumspotenzial. Und die Aussichten, dass zumindest die Europäische Zentralbank (EZB) bereits an diesem Donnerstag mit einer erneuten Zinssenkung für etwas mehr Rückenwind sorgt, sind verschwindend gering.

Das vom Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) erhobene Barometer für die Erwartungen in den kommenden sechs Monaten fiel zur Jahresmitte um 5,7 auf 41,8 Punkte. Ökonomen hatten zwar den ersten Rückgang seit Juli 2023 erwartet, aber mit einem neuen Zählerstand von 42,5 gerechnet. Die aktuelle Lage wiederum schätzten die 158 befragten Analysten und institutionellen Anleger etwas besser als zuletzt ein: Der Indikator stieg um 4,9 auf minus 68,9 Punkte. Hier war ein Rückgang auf −74,5 Zähler erwartet worden.

„Der wirtschaftliche Ausblick trübt sich ein“, kommentierte ZEW-Präsident Achim Wambach die Ergebnisse der monatlichen Umfrage. Zum ersten Rückgang des ZEW-Barometers seit einem Jahr hätten die im Mai stärker als erwartet gesunkenen deutschen Exporte, die politische Unsicherheit in Frankreich und die Unklarheit über die weitere Geldpolitik der EZB beigetragen, erklärte Wambach. An diesem Donnerstag wird der EZB-Rat wieder über die Zinsen im Euroraum entscheiden. Erwartet wird, dass die Euro-Hüter diesmal die Füße still halten, nachdem sie im Juni erstmals seit 2019 den Leitzins gesenkt haben. Als die wahrscheinlichsten Termine für weitere geldpolitische Lockerungen gelten derzeit September und Dezember.

„Zu viel Hoffnung“

„Der Rückgang der Erwartungen zeigt, dass bisher zu viel Hoffnung im Spiel war“, analysiert Alexander Krüger, Chefvolkswirt bei der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank. Die verbesserte Lagebeurteilung sei zwar erfreulich, bleibe insgesamt aber schlecht. „Für ein Mehr an Konjunkturoptimismus reicht die Befragung nicht.“ Sie reihe sich zu anderen für Juli schwach ausgefallenen Stimmungsindikatoren wie etwa den Sentix-Konjunkturerwartungen. Die Vorgaben für das in der kommenden Woche anstehende Ifo-Geschäftsklima und das GfK-Konsumklima seien mau.

Michael Herzum, Ökonom bei Union Investment, zeigt sich in seinem Urteil etwas milder: So würden sich die Finanzexperten oft von gerade erst veröffentlichten Daten leiten lassen, die sich auf die Vergangenheit bezögen, wie beispielsweise die jüngsten Zahlen zur Industrieproduktion im Mai. Und nachdem sich die schlimmsten Befürchtungen in Frankreich nicht bewahrheitet hätten, sei eine Stimmungsaufhellung wieder wahrscheinlich. Zudem gebe es gute Gründe für Zuversicht: „Die Realeinkommen entwickeln sich gut, und Kredite werden wieder erschwinglicher. Beides spricht für konjunkturellen Aufwind.“ Die wahrscheinlicher gewordene Wahl von Donald Trump zum nächsten US-Präsidenten im November hingegen verunsichere die deutsche Wirtschaft. Aber auch die US-Wirtschaft ebenso wie die chinesische wurden in der Umfrage skeptischer beurteilt: Hier sanken die Erwartungsindikatoren um 5,0 auf −13,5 bzw. um 7,6 auf 23,1 Punkte.

Für Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank, signalisiert das ZEW-Barometer, „dass das Hin und Her zwischen rückläufigem BIP und positiven Zuwächsen in die Verlängerung gehen könnte“. Eigentlich war davon auszugehen gewesen, dass die Wachstumsraten nun nachhaltiger über der Nulllinie liegen. Im ersten Quartal hatte das BIP um 0,2% zugelegt. Er erwartet nur mehr magere Wachstumsraten, da der private Konsum „die laue Entwicklung in der Industrie nicht in einem Maße kompensieren kann, dass am Ende ein kräftiges Wachstum zu Buche steht“.

Auch der IMK-Konjunkturindikator zeigt, dass die jüngst aufgekeimten Konjunkturhoffnungen zur Jahresmitte einen Dämpfer bekommen haben: „Die Wahrscheinlichkeit, dass die deutsche Wirtschaft in den nächsten drei Monaten eine Rezession durchläuft, ist in den letzten Wochen erstmals etwas gestiegen, nachdem sie zuvor viermal in Folge zurückgegangen war“, heißt es beim Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Der Indikator weise für das dritte Quartal eine Rezessionswahrscheinlichkeit von 44,4% aus. Anfang Juni betrug sie für die folgenden drei Monate noch 39,5%. Ursächlich sei im Wesentlichen der Rückgang bei Auftragseingang und Industrieproduktion.

Die Erwartungen an die Euro-Konjunktur wurden in der ZEW-Umfrage gleichfalls zurückgeschraubt. So sind die Konjunkturerwartungen um 7,6 auf 43,7 Punkte gefallen. Die konjunkturelle Lage hingegen wurde besser bewertet als zuletzt. Der Indikator stieg um 2,5 auf −36,1 Zähler.

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