EZB-Sitzung

Zwischen Rekord­inflation und Rezessions­ängsten

Der EZB-Rat entscheidet am Donnerstag über die weitere Geldpolitik. Er­wartet werden ein Beschluss zum Ende der Anleihekäufe und Signale für eine Zinswende im Juli. Die Euro-Hüter haben aber teils sehr unterschiedliche Vorstellungen über die weitere Normalisierung.

Zwischen Rekord­inflation und Rezessions­ängsten

Von Mark Schrörs, Frankfurt

Weltweit stemmen sich Zentralbanken mit starken Zinserhöhungen und anderen Maßnahmen gegen die hartnäckig zu hohe Inflation. Laut einer Bloomberg-Aufstellung haben in diesem Jahr schon mehr als 50 Währungsbehörden zu Zinsanhebungen um 50 Punkte oder mehr gegriffen. Vor allem die US-Notenbank Fed gibt den Ton an. Nachdem sie bereits An­fang Mai ihren Schlüsselsatz um 50 Punkte angehoben hat, hat sie solche Schritte auch für die nächsten Sitzungen avisiert. Parallel hat sie mit dem Abbau ihrer Bilanz begonnen.

Wenn es nach US-Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz geht, ist ein solches Vorgehen mehr als ge­­rechtfertigt. Stiglitz warnte unlängst beim Weltwirtschaftsforum in Davos, dass der aktuelle Preisanstieg „um Längen schlimmer“ sei als in den 1970er Jahren – weil „es nicht nur um Öl geht, sondern um Lebensmittel, Öl und Lieferstörungen durch Covid-19“. Die Zentralbanken seien zudem „völlig unvorbereitet“, sagte der Ex-Chefökonom der Weltbank. Zugleich wächst aber auch die Sorge vor einer globalen Rezession wegen des Ukraine-Kriegs, der zwischenzeitlichen Lockdowns in China – und wegen der geldpolitischen Straffung.

Die Europäische Zentralbank (EZB) agiert im internationalen Vergleich bislang eher zögerlich. Viel länger als andere Zentralbanken hat sie an dem Narrativ festgehalten, dass die hohe Inflation nur vorübergehend sei. So erklärt sich, dass sie aktuell immer noch in großem Stil Anleihen aufkauft und an Null- und Negativzinsen festhält. Inzwischen hat sie eine beispiellose Kehrtwende hingelegt und steu­ert auf eine schnellere Zinswende zu. Aber selbst das ist im globalen Kontext noch vorsichtig. Das sorgt nicht zuletzt in Deutschland für Kritik – und teils öffentlichen Dissens unter den Euro-Hütern.

EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat unlängst in einem in Form wie Inhalt äußerst ungewöhnlichen Blog-Beitrag auf der EZB-Internetseite eine Art Fahrplan für die nächsten Monate skizziert: Ende der billionenschweren Nettoanleihekäufe Anfang Juli und dann Zinserhöhungen im Juli und September; wobei sie nach verbreiteter Wahrnehmung Schritte um 25 Basispunkte avisierte. Damit sorgte sie für einigen Unmut und dann auch offenen Widerspruch bei den Hardlinern („Falken“) im EZB-Rat­, die sich ein aggressiveres Vorgehen vorstellen können. Allen voran Österreichs Notenbankchef Robert Holzmann plädiert für eine erste Zinserhöhung um 50 Basispunkte. Er hat das auch schon mit der Frage der Glaubwürdigkeit der EZB im Kampf gegen die hohe Inflation verknüpft.

Für ein aggressiveres Vorgehen spricht vor allem die Rekordinflation. Im Mai ist die Teuerung uner­wartet stark auf 8,1% gesprungen. Sie liegt damit mehr als viermal so hoch wie das Inflationsziel der EZB von 2%. Hinzu kommt, dass der Preisdruck immer breiter wird. Auch die Kerninflation ohne Energie und Lebensmittel liegt auf einem Rekordhoch von 3,8%. Zudem sind die Inflationserwartungen merklich über die 2-Prozent-Marke geklettert. Bei vielen Euro-Hütern wächst nun die Sorge vor einer gefährlichen Lohn-Preis-Spirale. Vor dieser Gefahr warnte unlängst auch die BIZ, die Zentralbank der Zentralbanken, deutlich.

Ungewöhnlich offen haben einigen Euro-Hüter zuletzt zudem die Schwäche des Euro angesprochen. Diese verschärft das Inflationsproblem, weil sie Importe verteuert. Hintergrund der Schwäche des Euro insbesondere zum Dollar ist auch die unterschiedlich rigide Geldpolitik.

Für ein vorsichtigeres Vorgehen spricht hingegen, dass die Euro-Wirtschaft insbesondere wegen des Ukraine-Kriegs zunehmend an Schwung verliert und das Rezessionsrisiko zuletzt eher gestiegen ist. Der Konjunkturausblick hängt stark vom Verlauf des Krieges ab.

Inzwischen scheint aber im EZB-Rat zumindest Konsens zu sein, dass die Zeit für Nettoanleihekäufe und Negativzinsen vorbei ist. Der EZB-Einlagensatz liegt bei −0,5%, der Leitzins bei 0%. Sollte der Zins im Juli und September um jeweils 25 Basispunkte erhöht werden, wäre die Zeit der Negativzinsen im dritten Quartal vorüber. Bei 50 Punkten im Juli wäre das umgehend der Fall.

Noch umstrittener ist, wie schnell und auch wie weit überhaupt es nun mit der geldpolitischen Normalisierung gehen soll. Eine zentrale Rolle nimmt da der sogenannte neutrale Zins ein, der die Wirtschaft weder stimuliert noch bremst. Die „Falken“ im EZB-Rat wollen offenbar rasch zumindest in Richtung dieses Ni­­veaus. Der slowakische Notenbankchef Peter Kazimir sagte unlängst, dass er den neutralen Zins nahe 2% sehe. Spaniens Notenbankchef Pablo Hernández de Cos sagte dagegen, dass er den neu­tralen Satz auf rund 1% schätze, und EZB-Direktoriumsmitglied Fabio Panetta warnte sogar davor, zu stark auf den neutralen Zins zu starren.

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