Nachhaltigkeit

An der sozialen Taxonomie scheiden sich die Geister

In der Fondsbranche löst eine geplante Erweiterung der Umwelttaxonomie auf soziale Ziele Diskussionen aus. Angesichts der Probleme mit der Datenlage wirkt das EU-Projekt wie eine Herkulesaufgabe.

An der sozialen Taxonomie scheiden sich die Geister

Von Wolf Brandes, Frankfurt

Ende Februar hat eine Expertengruppe einen Bericht über die Erweiterung der Umwelttaxonomie um soziale Ziele vorgelegt, der es in sich hat. Es geht am Ende um die Operationalisierung von sozialen Aspekten in der Finanzbranche. Ziel ist es, mit der sozialen Taxonomie Investitionen zu beeinflussen. Der Bericht dient der Europäischen Kommission vorerst als Beratungsdokument. Damit dürften Weichen zu einer sozialen Taxonomie gestellt sein. Die Diskussion um grundsätzliche Fragen geht aber weiter. Branche und Beobachter sind angesichts der komplexen Aufgabe gespalten.

Große Tragweite

Im Lager der Assetmanager hebt sich Schroders mit einer positiven Meinung zur Taxonomie ab. „Mir gefällt der Schwerpunkt auf integrativem Wachstum, das beispielsweise Endkunden, faire Löhne, die Einhaltung der Menschenrechtsnormen sowie die Unterstützung von KMUs fördert“, sagt Saida Eggerstedt, Head of Sustainable Credit bei der Fondsgesellschaft. Aus ihrer Sicht muss eine Taxonomie einen Strauß von Themen abdecken, angefangen von der Förderung lebenslangen Lernens über Qualifikationen für bestimmte Gruppen bis zur Förderung von umweltfreundlichem Wohnraum für Bürger mit geringem Einkommen. Die Fondsexpertin sieht darin eine große Tragweite, weil mit einer sozialen Taxonomie auch politische Instabilität verringert werden könnte.

Edda Schröder von der Mikrofinanz-Gesellschaft Invest in Visions beurteilt den Ansatz der EU-Kommission etwas zurückhaltender. Eine klare und einheitliche Definition von Aktivitäten und Investitionen, die einen wesentlichen Beitrag zu einem sozialen Ziel leisten und anderen Zielen, zum Beispiel mit Umweltbezug, nicht wesentlich schaden, habe eine hohe Priorität. Damit könne die Verbreitung von Socialwashing – analog zum Greenwashing – bei Unternehmensaktivitäten und Investitionen vermieden werden.

Scharfe Kritik an einer Erweiterung der Taxonomie äußert dagegen Bernhard Matthes von der Bank für Kirche und Caritas (BKC). „Planwirtschaftliche Rezepte haben noch nie funktioniert. Was befähigt die EU-Kommission festzulegen, was sozial gut ist und was nicht? Solche Gremien werden schnell zum Spielball politischer und wirtschaftlicher In­teressen“, sagt der Bereichsleiter Asset Management bei der BKC. Ein Regelwerk sollte sich im Markt bilden, denn nur marktwirtschaftliche Lösungen könnten die unterschiedlichen Anforderungen hinsichtlich sozialer Kriterien und einer sozialen Geldanlage bedienen. „Eine soziale Taxonomie der EU ist der falsche Weg. Ein Ansatz von der Stange hilft nicht weiter“, sagt Matthes.

Schon heute würden im Assetmanagement nach ausgefeilten Kriterien soziale Aspekte berücksichtigt. Bei den Leitlinien orientieren sich viele Anbieter wie Oddo BHF AM an UN-Grundsätzen wie dem Global Compact, den Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO oder dem Übereinkommen der UN gegen Korruption sowie den UN-Nachhaltigkeitszielen . Weitergehende Ansätze fußen oft auf einem weltanschaulichem Hintergrund. Bei der BKC kommen diese aus einer Wertorientierung zu Menschenrechtsverletzungen, zur Lieferkettenproblematik, zu Kinderarbeit oder Arbeitsrechtsverletzungen. „Christlich ge­prägt sind unsere Ausschlusskriterien zum Klonen, zu gentechnischen Veränderungen und Stammzellen. Es ist aber legitim, wenn andere Marktteilnehmer andere Wertvorstellungen haben, die sie zu abweichenden Nachhaltigkeitspositionierungen bringen“, sagt Matthes.

Der Teufel steckt unterdessen in der Datenbeschaffung. „Wir versuchen viele Quellen und Metriken von externen Datenanbietern wie Refinitiv, MSCI, Bloomberg, Sustainalytics sowie soziale Indikatoren, die die Unternehmen in ihren CSR-Berichten angeben, zu nutzen“, zählt Eggerstedt auf. Außerdem werden Schätzwerte für Humankapital verwendet, in die etwa die Verbesserung der Löhne, die in Entwicklungsländern über dem Existenzminimum gezahlt werden, eingeht.

Bei Union Investment wird von Unternehmen gefordert, dass diese über grundlegende und sektorspezifische Kennzahlen berichten. Dazu gehören Unfallzahlen, Zahlen zur Arbeitnehmerzufriedenheit, zu Da­tenschutz, aber auch zu Unruhen unter den Beschäftigten. „Dabei umfasst das S von ESG nicht nur die Mitarbeitenden selbst, sondern das gesamte Umfeld, also beispielsweise auch Kunden oder Lieferanten“, heißt es bei der Fondsgesellschaft. Als grundlegend relevante Kennzahlen zum Human Capital Management (HCM) betrachtet das Haus Daten zu Menschenrechten, moderner Sklaverei, Kinderarbeit, Arbeitsbedingungen, aber auch Diversität und Inklusion. Mit einer um soziale Fragen erweiterten EU-Taxonomie dürfte der Datenaufwand erheblich steigen.

Konflikt mit Umweltzielen

Neben dem Datenproblem taucht noch eine ganz andere Frage auf. Die unterschiedlichen ESG-Themen sind nicht widerspruchsfrei, sondern bringen Zielkonflikte besonders zwischen Umwelt und Sozialem mit sich. Das sei bei der Erweiterung der Taxonomie zu beachten. „Am Beispiel der Energiepreissteigerung zeigt sich, dass einseitig auf die Klimaziele geschaut wird und Kollateralschäden billigend in Kauf genommen werden. Wenn Energie zum Luxusgut wird und Bezieher mittlerer und kleinerer Einkommen nicht mehr in der Lage sind, ihre Wohnungen zu heizen, dann scheint die Ausgewogenheit in Schieflage geraten zu sein“, sagt Matthes von der BKC.

Mit der Entwicklung einer sozialen Taxonomie und der Integration in die Umwelttaxonomie müssten solche grundlegenden Fragen angegangen werden. Nimmt man die Probleme bei der Datenlage selbst für die einfachen sozialen Kriterien hinzu, wirkt das EU-Projekt wie eine kaum lösbare Herkulesaufgabe.

Bewertung sozialer Faktoren im ESG-Rating
BeschreibungHauptquellen
EntlohnungAbstand zwischen durchschnittlichem Stundeneinkommen und Armutsgrenze ILO
KinderarbeitZahlen der IAO, aufgeteilt nach Arbeitsstunden unter kinderarbeitsbezogenen Risiken IAO
Gesundheit und SicherheitZahlen der IAO zur Arbeitszeit, aufgeschlüsselt nach Gesundheits- und Sicherheitsrisiken IAO, WHO, EU-OSHA
Geschlechter-ungleichheitAbstand Stundenlohn von Männern und Frauen im Land/Sektor ILO, UNDP
Quelle: ScopeBörsen-Zeitung
BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.