As time goes by
Notiert in Brüssel
As time goes by
Von Detlef Fechtner
Mittlerweile dürfte auch die letzte Kuh für dieses Jahr auf Sommerzeit umgestellt sein. Denn gemeinhin dauert es ein bis zwei Wochen, bis sich das Milchvieh an das frühere Melken gewöhnt hat. Auch die meisten Menschen dürften den „Mini-Jetlag“ von Ende März mittlerweile abgehakt haben − auch wenn Studien der Universitäten in Singapur, Colorado und Stockholm vermuten lassen, dass Männer und Frauen in den Tagen und Wochen nach der Zeitumstellung nicht nur unkonzentrierter arbeiten, sondern auch unaufmerksamer Auto fahren – mit Folgen für die Unfallstatistik. Und dass das frühere Aufstehen vor allem Herz-Kreislauf-Patienten zusätzliche Probleme bereitet.
Seit etlichen Jahren setzen sich viele Abgeordnete des EU-Parlaments engagiert für die Abschaffung des jährlichen Vor- und Zurückdrehens des Stundenzeigers ein. Gegen das 1980 eingeführte Ritual formierte sich Mitte der 2010er Jahre Protest, weil die durch die Zeitumstellung erhofften Energieeinsparungen nicht nachweislich waren. Um gegen die Zeitumstellung zu rebellieren, hängte sich der frühere EU-Abgeordnete Herbert Reul sogar − natürlich nur per Fotomontage − an den Zeiger einer Uhr eines Wolkenkratzers, so wie es der legendäre Harald Lloyd einst in einer ikonischen Filmszene getan hatte.
Parlament gegen Rat machtlos
2018 sprachen sich 84% der EU-Bürger in einer Umfrage dafür aus, doch bitteschön entweder an der Sommer- oder an der Winterzeit festzuhalten. Doch während die EU-Kommission ein entsprechendes Änderungsgesetz vorlegte und sich das EU-Parlament umgehend auf seine Position einigte, bewegt sich im Rat, also dem Gremium der nationalen Regierungen, bis heute nichts. Was wiederum die EU-Abgeordneten zur Weißglut bringt. „Es scheint, als hätten die EU-Staaten das Thema absichtlich aus den Augen verloren“, schimpft der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber. Und seine grüne Parlamentskollegin Anna Cavazzini bezeichnet das Ratsverhalten als „enttäuschend“.
Das EU-Parlament hat zwar generell an Macht gewonnen. Aber Dossiers wie die Sommerzeit verdeutlichen den Abgeordneten schmerzhaft, dass sie wenig ausrichten können, wenn sich der Rat taub stellt und die Zeit einfach vergehen lässt: As time goes by. Dabei würde die Abschaffung der Zeitumstellung nicht nur Kühen, Autofahrern und Herz-Kreislauf-Patienten das Leben vereinfachen, sondern auch denen, die ganz alltagspraktisch mit dem Hin und Her der Zeiger nicht zurechtkommen. Etwa denen, die die Zeitumstellung vergessen haben und daher am 30. März eine Stunde zu spät zur Verabredung gekommen sind. Oder denen, die ihre Uhr zurück- statt vorgestellt haben − und deshalb sogar zwei Stunden zu spät waren. Oder all denen, die jetzt wieder rechnen müssen, wenn sie wissen wollen, wie spät es ist. Denn wie hat es Harald Schmidt einmal treffend zusammengefasst: Sommerzeit, das ist doch, wenn die Uhr am Herd eine Stunde nachgeht.