EZB

Auf der schiefen Bahn

Der Rücktritt von Bundesbankchef Jens Weidmann sollte ein Weckruf sein. Die Einheitlichkeit der Geldpolitik und das Verbot der monetären Staatsfinanzierung sind Grundfesten des Euro. Daran darf niemand rütteln.

Auf der schiefen Bahn

So mancher EZB-Kritiker hätte sich ge­wünscht, Bundesbankpräsident Jens Weidmann hätte die Ankündigung seines vorzeitigen Rücktritts zum Jahresende mit einem lauten Knall vollzogen – als Fanal gegen die ultralockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Das hätte aber nicht zum Typ Weidmann gepasst und zudem wohl nur verbrannte Erde hinterlassen. Tatsächlich aber wäre es mehr als wünschenswert, dass der überraschende Schritt für die EZB-Granden zumindest ein Weckruf ist, be­­stimmte Positionen zu überdenken. Die EZB befindet sich kurz- und langfristig auf einer schiefen Bahn.

Das fängt an mit der Einschätzung zur aktuellen Inflation. Zwar besteht weiter kein Grund zu Panik. Der unerwartet starke Anstieg hat viele temporäre Gründe, und Raten von 4% bzw. 5%, wie sie kurzfristig in Euroland bzw. Deutschland absehbar sind, werden kaum dauerhaft bleiben. Aber die Einseitigkeit und Leichtfertigkeit, mit der viele Euro-Notenbanker Inflationsrisiken und -ängste wegwischen, ist gefährlich. Das entfremdet die EZB zudem vom Bürger. Die Euro-Hüter müssen jetzt „nicht überreagieren“, wie EZB-Chefin Christine Lagarde so gerne mahnt. Aber sie dürfen das Risiko einer künftig höheren Inflation nicht negieren, und sie müssen glaubhaft klarmachen, dass sie notfalls gegensteuern.

Aktuell aber scheinen viele Notenbanker im Grunde nur daran interessiert, die ultralockere Geldpolitik dauerhaft zu perpetuieren. Sicher, das Ende des 1,85-Bill.-Euro-Corona-Notfall-Anleihekaufprogramms PEPP im März 2022 ist wohl ausgemachte Sache. Angesichts der Wirtschaftserholung und des Impffortschritts ist das auch fraglos angezeigt. Aber viele Währungshüter überbieten sich geradezu in Vorschlägen, was dann als Kompensation kommen könnte, – etwa eine Aufstockung des parallelen Anleihekaufprogramms APP oder sogar ein neues Programm. Nun mag es Sinn machen, sogenannte „Klippeneffekte“ abzumildern. Aber da dürfen die Euro-Hüter nicht überziehen. Ähnliches gilt für das Thema Leitzinsen: Aktuell mag wenig dafür sprechen, schon 2022 die Zinsen anzuheben. Aber angesichts der großen Unsicherheit über die Inflationsentwicklung lässt sich das auch nicht kategorisch ausschließen. Die EZB sollte bloß nicht so tun, als wüsste sie besser als die Märkte, wie sich die Inflation entwickelt, – dafür lag sie viel zu oft gehörig daneben.

Fast noch wichtiger als der Grad der künftigen Unterstützung ist indes die Ausgestaltung – weil das von langfristiger Relevanz ist. Konkret geht es um die Frage, ob die große Flexibilität von PEPP über dessen Ende hinaus erhalten und auf andere Anleihekäufe übertragen werden soll, wie es sich einige Notenbanker wünschen. Das PEPP erlaubt etwa größere Abweichungen vom EZB-Kapitalschlüssel, und es gibt keine Kaufobergrenzen. Diese Flexibilität war in der akuten Notsituation nö­­tig und angemessen. In Normalzeiten gilt das aber nicht. Die EZB ist schlechterdings nicht dafür da, auf Dauer die Renditeabstände von Staatsanleihen der Euro-Länder zu begrenzen. Die Einheitlichkeit der Geldpolitik und das Verbot der monetären Staatsfinanzierung sind Grundfesten der Währungsunion. Wer daran rüttelt, rüttelt am Fundament des Euro – mit unabsehbaren Konsequenzen.

Letztlich geht es auch grundsätzlich um das Verhältnis von Politik und Notenbank, von Fiskal- und Geldpolitik. In der Coronakrise hatten beide ein gleichgerichtetes In­teresse, und es war richtig, dass sie sich nach Kräften gegenseitig unterstützt haben. Das wird aber nicht auf ewig so sein. Die Notenbanker müssen ein Eigeninteresse an Distanz haben. Das ist umso wichtiger, als es Europas Politikelite noch nie an schlauen Ideen gemangelt hat, was die EZB nicht noch so alles machen könnte. Angesichts gigantischer Investitionsbedürfnisse in Klimaschutz und Digitalisierung richten sich auch jetzt wieder begierige Blicke auf die Notenbankpresse. Die Zentralbanken sollten wo möglich unterstützen. Aber simples Schuldenmachen per Gelddrucken ist sicher kein Allheilmittel. Die Historie zeigt, dass monetäre Finanzierung staatlicher Defizite immer wieder zu unkontrollierter Inflation und Finanz- sowie Wirtschaftskrisen geführt hat. Dann ist am Ende aber niemandem gedient.

Das alles unterstreicht, wie wichtig es ist, die Unabhängigkeit der Zentralbanken zu verteidigen, – und sie weder aus Frust über die (zu) große Nähe der vergangenen Jahre voreilig zur Disposition zu stellen noch sie auf dem Altar immer neuer hehrer Politikziele zu opfern. Und es unterstreicht, wie essenziell die Entscheidung zur Weidmann-Nachfolge ist. Die Bundesregierung zeigt damit, welche Bundesbank und welche EZB sie sich wünscht. Die deutsche Öffentlichkeit wird da sehr genau hinschauen.

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