Aufsichtsräte öffnen sich ihren Investoren
Aufsichtsräte öffnen sich ihren Investoren
Unternehmenskontrolleure gehen verstärkt in den Dialog mit Anlegern und nehmen Governance-Themen in den Fokus
swa Frankfurt
Von Sabine Wadewitz, Frankfurt
Inwieweit Aufsichtsräte nach außen kommunizieren dürfen, war in der Vergangenheit umstritten. Inzwischen ist der Dialog der Unternehmenskontrolleure mit Anteilseignern gelebte Praxis. „Gespräche zwischen Investoren und anderen Stakeholdern mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden haben sich etabliert. Die Bereitschaft zur Kommunikation ist durchgängig vorhanden“, so das Ergebnis einer Studie der Kanzlei Noerr, die in Kooperation mit der Kommunikationsberatung FGS Global und dem Berliner Wissenschaftler Axel v. Werder, Gründungsmitglied der Corporate-Governance-Kodex-Kommission, erstellt wurde.
Befragt wurden die Aufsichtsratsvorsitzenden der Unternehmen aus der Dax-Familie. Zudem analysiert die Studie die Geschäftsordnungen der Aufsichtsräte aller Dax-40-Unternehmen mit Blick auf Regelungen zur externen Kommunikation und wertet zusätzlich Medienberichte aus.
Rechtsrahmen gefestigt
Auch der rechtliche Rahmen für den Dialog hat sich aus Sicht der Anwälte gefestigt: „Die Mehrheit der Rechtswissenschaft hält es für zulässig, dass der Aufsichtsratsvorsitzende Gespräche mit Investoren und anderen Stakeholdern jedenfalls über aufsichtsratsspezifische Fragen führt.“ Das sieht auch der Deutsche Corporate Governance Kodex in einer Anregung vor. Dieser Anspruch spiegelt sich inzwischen in den Geschäftsordnungen für die Kontrollgremien der Dax-40-Gesellschaften, die der Studie zufolge überwiegend Regelungen zur Kommunikation des Aufsichtsrats enthalten.
Als gering stuft die Studie jedoch den Organisationsgrad ein. Die Geschäftsordnungen enthielten zwar grundsätzliche Regelungen, eigene Kommunikationsordnungen mit weiteren Detailregelungen existierten dagegen kaum. Die Aufsichtsräte verzichteten auch auf Ausschüsse, die sich gezielt mit der Kommunikation befassen. Lediglich zwei Unternehmen hätten neben der Geschäftsordnung eine Kommunikationsordnung des Aufsichtsrats verfasst. Darin sei unter anderem festgelegt, dass der Vorsitzende die übrigen Mitglieder des Überwachungsorgans nach Stakeholder-Kontakten informiert.
Kanäle ins Unternehmen
Diskussionspunkt war in der Vergangenheit auch immer wieder, inwieweit Aufsichtsräte am Vorstand vorbei ins Unternehmen hinein Kontakt aufnehmen dürfen. Hier hat das vom Wirecard-Skandal initiierte Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) die Position der Aufsichtsräte gestärkt und den Kontrolleuren neue Kompetenzen eingeräumt.
Das Gesetz verpflichtet börsennotierte Unternehmen dazu, einen Prüfungsausschuss einzurichten. Dabei werden den Mitgliedern des Audit Committee im Rahmen ihrer Überwachungstätigkeit für die dafür relevanten Themen zusätzliche Auskunftsrechte eingeräumt. So können sie etwa die Leiter des Risikomanagements oder der internen Revision ansprechen, ohne dafür vorher die Zustimmung des Vorstands einzuholen.
Die klassischen Themen
Als Gesprächspartner der Aufsichtsratsvorsitzenden in der externen Kommunikation dominieren der Studie zufolge Investoren vor Vertretern von Medien und Nichtregierungsorganisationen sowie sonstigen Stakeholdern – darunter Politiker und Spitzenbeamte. Im Fokus des Dialogs zwischen Aufsichtsrat und Investoren und der allgemeinen Öffentlichkeit stehen weiterhin die klassischen Themen Vorstandsbestellung und -vergütung sowie Vergütung des Aufsichtsrats.
Betrachte man die Gesprächsthemen im Kontext von Nachhaltigkeit und ESG, stehen ebenfalls Governance-Themen im Vordergrund. Umweltbezogene und soziale Aspekte würden insgesamt deutlich seltener, aber immerhin teilweise erörtert. Einige Aufsichtsratsvorsitzende äußerten sich im Untersuchungszeitraum zum Überfall Russlands auf die Ukraine, wenige nahmen Stellung zu Umweltthemen.
Mit Blick auf die Kompetenzen des Aufsichtsrats ist dieser Befund aus Sicht der Anwälte wenig überraschend. „Governance-Themen zählen zum Kernbereich der Überwachungsfunktion, es ist deshalb nicht verwunderlich, dass sie auch den Schwerpunkt der Gesprächsthemen bilden“, sagt Ingo Theusinger, Partner von Noerr und Experte für Aktienrecht und Corporate-Governance-Fragen.
Mehr Gesprächsstoff
Aus Sicht der Studie könnte sich der Diskurs künftig thematisch verbreitern. Die intensivere Debatte über Nachhaltigkeit sowie die fortschreitende Regulierung dürften dies unterstützen, so die Einschätzung. So sähen diverse EU-Verordnungen und -Richtlinien Stakeholder-Dialoge vor. Zu den Stakeholdern in diesem Sinne zählten beispielsweise auch NGOs. Zwar sei hier an ersten Stelle der Vorstand gefragt. Es liege aber nicht fern, dass der Aufsichtsrat im Rahmen seiner Beratungs- und Überwachungsfunktion in die Gespräche einbezogen werde. „Aufsichtsratsmitglieder scheinen offen für ESG-Themen zu sein. Dies legt jedenfalls die Auswertung unserer Fragebögen nahe“, folgert die Kanzlei.
ESG in der Hauptversammlung
Mit Blick auf Nachhaltigkeitsthemen hat Sebastian Beyer, Spezialist für Aktien- und Kapitalmarktrecht bei Taylor Wessing, jüngst auf einer Veranstaltung der Kanzlei hervorgehoben, dass ESG-Aspekte auch über die Einbeziehung von Nachhaltigkeitszielen in die Vorstandsvergütung an Relevanz gewinnen und damit über Umwege in die Hauptversammlung gelangen.
Auch das Say on Climate könnte hierzulande langsam Fahrt aufnehmen. Der Technologiekonzern Gea hat angekündigt, als erstes Unternehmen aus der Dax-Familie auf der nächsten Hauptversammlung konsultativ über die Pläne zum Klimaschutz abstimmen zu lassen.
Taylor-Wessing-Anwalt Beyer erinnerte auch daran, dass Unternehmen über die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) der EU verpflichtet werden sollen, einen Klimatransformationsplan aufzustellen. Es sei zwar nicht vorgesehen, diesen Plan der Hauptversammlung vorzulegen, doch es werde gleichwohl ein Impuls dafür gesetzt.