Aufsichtsratsqualen
Der scheidende Telekom-Aufsichtsratschef Ulrich Lehner hat in der Vergangenheit in Corporate-Governance-Diskussionen schon mal kundgetan, wenn er einen neuen Kandidaten für ein Gremium suche, ziehe er einen Ordner aus dem Regal und schon habe er ihn. Ganz so schnell und mit einem Handgriff ließ sich für den 75-jährigen ehemaligen Henkel-Chef die Suche nach dem eigenen Nachfolger indes nicht bewerkstelligen. Die Zeiten haben sich auch in der Governance geändert.
Schon auf der vergangenen Telekom-Hauptversammlung im April hatte Lehner nach 13 Jahren im Amt seinen Platz freimachen wollen. Zum Aufrücken ausersehen war der ehemalige BMW-Chef Harald Krüger, der seit Mai 2018 an Bord war, dann aber überraschend doch auf die Beförderung verzichtete.
Da viele Investoren inzwischen Aufsichtsräte mit mehr als zehn oder längstens zwölf Jahren Zugehörigkeit als nicht mehr unabhängig abstempeln, war die Nachfolgeplanung im Telekom-Aufsichtsrat aus Sicht des Kapitalmarkts längst überfällig. Mit dem noch amtierenden Vorstandschef der Deutschen Post, Frank Appel, hat Lehner nun einen passenden Kandidaten gefunden. Diese Nominierung hat ein historisches Vorbild, war doch Appels Vorgänger Klaus Zumwinkel zeitgleich Post-Chef und Telekom-Chefkontrolleur. Für die Investoren haben sich jedoch auch hier die Zeiten geändert, solche Ämterdopplungen werden heute nicht mehr goutiert.
Im Fall der Telekom dürften die institutionellen Anleger indes ein Auge zudrücken, wird doch Appel sein Amt an der Post-Spitze im Mai 2023 aufgeben, so dass er der Doppelbelastung nur etwa ein Jahr ausgesetzt sein dürfte. Zudem gibt er bereits Verantwortlichkeiten an seinen designierten Nachfolger ab, der zudem bestrebt sein wird, möglichst schnell seine eigene Führungsqualität unter Beweis und den Vorgänger in den Schatten zu stellen. Damit sollte Appel Raum für beide Positionen bleiben, wenn er nicht gar die Zeit als „lame duck“ verkürzt.
Der Chefposten im Telekom-Aufsichtsrat ist von der Beanspruchung her alles andere als eine Nebenerwerbstätigkeit. Blickt man zurück ins Geschäftsjahr 2020, hatten die 20 Gremienmitglieder zwölf Aufsichtsratssitzungen, eine eintägige Klausurtagung sowie 34 Ausschusssitzungen zu bewältigen. Die Teilnahmequote habe bei 98% gelegen, ist dem Bericht des Aufsichtsrats zu entnehmen. Dem Zeitmanagement der Beteiligten kam im Coronajahr entgegen, dass die Sitzungen überwiegend virtuell stattfanden. Bei der Deutschen Post war die Frequenz etwas verhaltener. Hier kam der Aufsichtsrat zu sechs Zusammenkünften im Plenum zusammen und es gab 25 Ausschusssitzungen, wo Vorstände oft auch involviert sind.
Die Besetzung der Aufsichtsräte stellt Unternehmen seit Jahren vor immer größere Herausforderungen. Es sollen unterschiedliche Kompetenzen im Gremium vorhanden sein, im Prüfungsausschuss wird zudem Sachverstand in Rechnungswesen sowie Abschlussprüfung verlangt. Investoren fordern zunehmend Know-how in Digitalisierung und Nachhaltigkeitsthemen ein – dieser Wissensanspruch hat immerhin den positiven Nebeneffekt, dass sich die Aufsichtsräte dadurch verjüngen. Institutionelle Adressen, aber auch viele andere Stakeholder und die Politik stellen zudem zunehmend strenge Diversity-Anforderungen. Und da die Haftung parallel schärfer wird, ist der Andrang der Anwärter überschaubar, anders als in früheren Zeiten bei der Vergabe von Frühstücksdirektorenposten.
Die Besetzung der Aufsichtsratsspitze wird dadurch erschwert, dass Unternehmen diese Rolle immer noch gerne an einen verdienten CEO übergeben wollen, Investoren eine Ämterhäufung aber nicht mehr akzeptieren. Damit ist das Old Boys Network zu eng. Das Aktienrecht ist zwar immer noch großzügig und lässt zehn Aufsichtsratsmandate zu, wobei ein Vorsitz doppelt zählt. Der Governance-Kodex zieht die Grenze enger und erlaubt einem aktiven Vorstand in gleicher Zählweise drei Mandate. Hier wäre Post-CEO Appel als Telekom-Aufsichtsratschef mit zusätzlichem Mandat bei Fresenius immer noch aus dem Schneider. Investoren sind meist restriktiver und akzeptieren in der Systematik maximal drei Posten, zählen aber das Vorstandsmandat mit. Damit wird es in der Rekrutierung eng: Auch für einen Berufsaufsichtsrat ist mit einem Vorsitz und einem weiteren Mandat Schluss. Die Deutsche Bank geht in dem Szenario neue Wege, jedenfalls im Kreis der Old Economy, und nominiert einen anerkannten Top-Manager aus dem Ausland.