London

Autodafé in Notting Hill

Tugendwächter aus dem Umfeld der Weltuntergangssekte Extinction Rebellion haben damit begonnen, SUVs aufs Korn zu nehmen. Hunderten von Fahrzeugen wurde Anfang der Woche die Luft abgelassen.

Autodafé in Notting Hill

Notting Hill ist nicht Kreuzberg oder St. Pauli. Deshalb fanden die Besitzer teurer SUVs dieser Tage dort keine rauchenden Trümmer am Straßenrand. Es fehlte nur die Luft in den Reifen. Die Tugendwächter aus dem Umfeld der Weltuntergangssekte Extinction Rebellion (XR) hatten ihre Autodafés ­klimaneutral vollzogen. Medienberichten zufolge wurden hunderte Fahrzeuge, die sich der Kategorie „Chelsea Tractor“ oder „Land Yacht“ zurechnen lassen, in London, Bristol und Brighton Opfer ihrer Glaubensurteile. Die Aktivisten, die unter dem Namen Tyre Extinguishers im Internet auftreten, machten auch vor Hybrid- und Elektrofahrzeugen nicht halt. Das ist nur konsequent, denn die Vorstadtpanzer werden nicht dadurch zum grünen Fortbewegungsmittel, dass der Dreck aus irgendwelchen Kraftwerksschloten kommt. Der Name der Putztruppe offenbart den religiösen Furor. Die Aktivisten sehen sich als Werkzeuge, als Feuerlöscher (Fire Extinguisher), um den in Flammen stehenden Planeten zu retten.

„Wir sind Menschen aus allen Gesellschaftsschichten mit einem Ziel: Es unmöglich zu machen, in den städtischen Regionen dieser Welt ein riesiges umweltschädliches Allradfahrzeug zu besitzen“, heißt es auf der Webseite. Indem man immer wieder die Luft aus den Reifen der SUVs lasse und andere dazu ermutige, das auch zu tun, werde aus dem vergleichsweise kleinen Ärgernis, einen platten Reifen zu haben, für Fahrer solcher „Killerfahrzeuge“ ein ernsthaftes Hindernis. Man greife zu diesem Mittel, weil Regierungen und Politiker dabei versagt hätten, einen vor diesen großen Wagen zu schützen. „Jeder hasst sie, bis auf die Leute, die sie fahren“, schreiben die Aktivisten. Man habe keine Anführer, jeder könnte mitmachen, indem er die einfache Anleitung auf der Webseite in die Tat umsetze. Dort finden sich auch Bilder von SUVs, um den nicht ganz so hellen, aber umso tatendurstigeren Aktivisten den Weg zum Handeln zu ebnen. Interessanterweise gibt es nur Fotos von Fahrzeugen der Marken Jeep, Land Rover, Nissan, Toyota und Volvo. Dabei ähneln die Straßen der in London heimgesuchten Viertel Belgravia, Chelsea, Chiswick und Notting Hill einer Leistungsschau der deutschen Automobilwirtschaft. Aber vielleicht geht es ja nur darum, nicht autofahrenden Menschen einen Eindruck davon zu vermitteln, wie so ein SUV aussieht. Dann wird erklärt, dass es nicht reicht, das Ventil aufzuschrauben. Man müsse auch etwas hineinstecken, um den Ventilstift nach unten zu drücken, heißt es in der Anleitung zur Sachbeschädigung. „Wir mö­gen grüne Linsen, aber du kannst auch mit Couscous experimentieren.“ Und damit man nicht selber formulieren muss, warum man jemanden um die Nutzung seines fahrbaren Untersatzes gebracht hat, lässt sich auch ein Bekennerschreiben herunterladen. „Sie werden keine Schwierigkeiten haben, sich ohne ihren Spritfresser fortzubewegen – durch Laufen, Radfahren oder den öffentlichen Nahverkehr“, heißt es darin.

Ansonsten folgt der Duktus der klassischen Strategie von XR, den Eindruck zu erwecken, als tue es einem leid, dass man andere schädige: „Es geht nicht um Sie, sondern um Ihr Auto.“ Ähnlich hatten die Teilnehmer der Autobahnblockaden von „Insulate Britain“, eines anderen Spin-offs von XR, argumentiert. Man wolle ja wirklich niemandem Unannehmlichkeiten be­reiten, werde aber durch den Ernst der Lage dazu gezwungen. Selbst Krankenwagen wurden von den Glaubenskriegern aufgehalten. Die in stundenlangen Staus festsitzenden Berufstätigen hatten für die pensionierten Lehrer und Beamten, die sich für die Zukunft ihrer Enkel auf der Stadtautobahn ausstreckten, keinerlei Verständnis. Zu offensichtlich war der Gegensatz zwischen denen, die ausgesorgt haben, und denen, die täglich ihre Arbeit zu Markte tragen müssen und sie vielleicht sogar verlieren, wenn sie zu spät kommen.

Um so interessanter ist die Attacke auf die Luxuskarossen in den Besserverdienervierteln der Großstädte. Denn gerade dort erfreute sich XR bislang starker Unterstützung. Man darf gespannt sein, wie tolerant das großbürgerliche Milieu ist, wenn es von seinen Zöglingen selbst aufs Korn genommen wird. Vielleicht ist die Aktion für XR ja der Anfang vom Ende.