KommentarEU-Wettbewerbsrecht

Bahnbrechende Urteile

Der EU-Gerichtshof hat zwei zentrale Entscheidungen aus der Amtszeit von Margrethe Vestager bestätigt. Das belegt: Kartellbehörden sind auch in der digitalen Ökonomie in der Lage, Grundregeln des fairen Wettbewerbs durchzusetzen.

Bahnbrechende Urteile

EU-Wettbewerbsrecht

Bahnbrechende Urteile

Von Detlef Fechtner

Spielfilmregisseure hätten es kaum dramatischer inszenieren können: Nur Stunden bevor bekannt wird, wer Margrethe Vestager im Amt der EU-Wettbewerbskommissarin beerben soll, bestätigt der EU-Gerichtshof die zwei wohl bedeutendsten Entscheidungen ihrer Amtszeit. Und diese Bestätigung ist – vor allem im Fall Apple – eine faustdicke Überraschung.

Viel war am Dienstag die Rede von richtungsweisenden, ja bahnbrechenden oder gar historischen Urteilen. Auf den ersten Blick mag man sagen: Nein, das ist doch etwas zu dicke. Zumal – Beispiel Apple – Europas Richter in ähnlichen Fällen von Starbucks bis Fiat Finance anders entschieden haben, so dass auch nach dem Urteil nicht geklärt ist, ob Steuerdeals in jedem Fall gegen EU-Recht verstoßen – selbst wenn sie beteiligten Firmen superniedrige Steuersätze bescheren. Genauso wenig lässt sich vom Richterspruch im Fall Google ableiten, dass damit Tech-Riesen nie wieder eine Chance haben, ihre Marktmacht für eigene Dienste zu nutzen. Schließlich ist der Übergang zwischen Selbstreferenz und Selbstpräferenz fließend.

Aber: Auf den zweiten Blick findet man sehr wohl gute Gründe, warum die Urteile durchaus bahnbrechend und richtungsweisend sind. Denn mit den zwei Verfahren hat Vestager einen Prozess in Gang gesetzt, der viel verändert hat. Sei es, indem der Fall Google das Gesetz für digitale Märkte vorangetrieben hat. Sei es, indem der Fall Apple die Debatte über globale Mindeststeuern und länderspezifisches Reporting forciert hat. Beide Verfahren haben zudem das Bewusstsein in Unternehmen geschärft, dass, wer allzu flagrant Steuervermeidung oder Selbst­begünstigung betreibt, mit Strafen und Reputationsverlust rechnen muss.

Hätte der EuGH beide Entscheidungen der EU-Kommission für nichtig erklärt, wäre das ein fatales Signal gewesen: Selbst wer nur Promille Steuern zahlt oder auf den Trefferlisten seiner Suchmaschinen nur eigene Angebote hervorhebt, muss keine wettbewerbsrechtliche Sanktion fürchten. So aber ist die Botschaft genau im Gegenteil: Selbst wenn viele daran zweifeln, sind Kartellbehörden auch in der digitalen Ökonomie in der Lage, Grundregeln des fairen Wettbewerbs durchzusetzen. Natürlich immer nur in Einzelfällen und nicht pauschal, schließlich fußt Wettbewerbsrecht auf individuellen Verfahren. Aber: Egal wie groß und marktmächtig Konzerne sind, die Schiedsrichter können ihnen klare Grenzen setzen. Und wer sich nicht daran hält, für den wird es richtig teuer. Das ist bahnbrechend.

Das Gerichtsurteil straft Zweifel an der Schlagkraft der Kartellwächter Lügen.

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