Frankreichs neue Regierung

Barniers Gratwanderung

Die Sanierung der Staatsfinanzen hat für Frankreichs neuen Premier Priorität. Der große Test steht Michel Barnier mit der Haushaltsdebatte jedoch erst noch bevor.

Barniers Gratwanderung

Frankreichs Premier

Barniers Gratwanderung

Der eigentliche Test steht Frankreichs neuer Regierung mit der Debatte über den Haushaltsentwurf erst noch bevor.

Von Gesche Wüpper

Weder blumige Versprechen noch großartige Überraschungen: Stattdessen will Michel Barnier Frankreich Schritt für Schritt mit Kompromissen aus der durch die vorgezogenen Neuwahlen ausgelösten Krise führen. Der aus den Alpen stammende Premierminister hat bereits während seiner Regierungserklärung bewiesen, dass er sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt, auch nicht durch Störfeuer der Opposition. Angesichts der Herausforderungen, die seine Minderheitsregierung jetzt erwarten, ist das nicht die schlechteste Voraussetzung. Bei der Debatte über den Haushaltsentwurf, den seine Mannschaft am 10. Oktober im Ministerrat präsentieren will, muss er einen kühlen Kopf bewahren.

Die Sanierung des Staatshaushalts hat für Barnier oberste Priorität. Immerhin schwebt die immense Verschuldung von 3.228 Mrd. Euro, so der frühere EU-Kommissar, wie ein Damoklesschwert über der zweitgrößten Volkswirtschaft der Eurozone. Und statt der ursprünglich von der vorigen Regierung angepeilten 4,4% droht das Defizit in diesem Jahr auf mehr als 6% zu steigen. In Paris ist die Rede von 6,2% oder 6,3%. „Wenn wir nicht handeln, wird es 2025 noch schlimmer“, hat Barnier jetzt gewarnt.

Bei der Defizitbekämpfung zeigt sich erneut sein Pragmatismus. Statt Brüssel das unrealistische Versprechen zu geben, 2027, wenn das Mandat von Präsident Emmanuel Macron endet, wieder die Defizitgrenze von 3% zu erreichen, will sich Barnier zwei Jahre mehr Zeit lassen. Angesichts der zersplitterten Mehrheitsverhältnisse in der Assemblée Nationale und des nicht besonders üppigen Wachstums scheint das vernünftig. Ein zu harter Sparkurs würde die Opposition sowie einen Teil der Bevölkerung auf die Barrikaden treiben und die Konjunktur belasten. Immerhin haben die Neuwahlen gezeigt, dass zwei Drittel der Wähler für wirtschaftspolitische Programme mit teuren, populären Versprechen gestimmt haben. Doch selbst mit dem Aufschub des Defizitziels bis 2029 sind die Anstrengungen, die Frankreich vornehmen muss, enorm.

2025 sind Anstrengungen in Höhe von 60 Mrd. Euro nötig

Um das Defizit nächstes Jahr wieder auf 5% zu senken, sind Anstrengungen von 60 Mrd. Euro notwendig. Zwei Drittel will Barnier durch Einsparungen erreichen, ein Drittel durch höhere Einnahmen. Deshalb will er Großkonzerne mit hohen Gewinnen und vermögende Franzosen vorübergehend höher besteuern. Zwar ist Frankreichs Premier Details dazu bisher schuldig geblieben. Aber es ist bereits abzusehen, dass es am CAC 40 nicht spurlos vorbeigehen wird, sollten große Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 1 Mrd. Euro wie von Medien gemutmaßt zeitweise mit 33,5% statt 25% besteuert werden. Das gilt umso mehr, als auch Aktienrückkaufprogramme und Gewinne von Energieversorgern zusätzlich besteuert werden könnten. Der Gewinn je Aktie der CAC-40-Unternehmen dürfte sinken. Finanzwerte, Versorger und Medien dürften nach Ansicht von Experten am stärksten getroffen werden.

Barnier erwartet ein Dilemma

All das ist sicherlich zumindest teilweise in den Aktienkursen französischer Unternehmen eingepreist. Doch die anhaltende politische Unsicherheit droht den CAC 40 und die seit Ankündigung der Neuwahlen unter Druck geratenen französischen Staatsanleihen weiter zu belasten. Bereits jetzt bevorzugen immer mehr Investoren Spanien. Nicht nur deshalb begibt sich Frankreichs Premier jetzt auf eine Gratwanderung. Er muss nicht nur mit einem geschwächten Präsidenten klarkommen, der mit allen Mitteln versuchen wird zu verhindern, dass sein Kurs der letzten sieben Jahre verlassen wird. Er muss auch innerhalb der Regierungskoalition die entgegengesetzten Interessen von Politikneulingen aus Macrons Partei und reaktionären Veteranen unter einen Hut bringen. Vor allem aber muss er die Opposition in der zersplitterten Nationalversammlung kompromissbereit stimmen. Der eigentliche Test steht Barnier erst noch bevor, wenn er den Haushaltsentwurf präsentiert. Dabei steht er vor der Krux, entweder eine Abstimmung zu wagen und dabei auf die Stimmen der moderaten Linken und des rechtsextremen Rassemblement National zu hoffen. Oder er verzichtet auf eine Abstimmung und nimmt die dann drohenden Misstrauensanträge in Kauf.

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