LeitartikelSchwierige Hauptversammlung

Bayer agiert mit dem Mut der Verzweiflung

Die leidgeprüften Bayer-Aktionäre sollen einen üppigen Kapitalrahmen schaffen. Was mutig erscheint, ist der Mut der Verzweiflung.

Bayer agiert mit dem Mut der Verzweiflung

BAYER

Mut der Verzweiflung

Von Annette Becker

Es ist der pure Mut
der Verzweiflung,
der Bayer dazu bewegt, die Aktionäre um
die Schaffung eines
milliardenschweren Kapitalrahmens
zu bitten.

Ist es mutig oder tollkühn? Diese Frage dürften sich die Investoren von Bayer seit vergangenem Freitag stellen. Die Hauptversammlung soll einen Kapitalrahmen im Umfang von knapp 35% des Grundkapitals schaffen. Nominal geht es um 875 Mill. Euro, zum aktuellen Aktienkurs sind das um die 8 Mrd. Euro. Das ist nicht nur ein riesiger Batzen Geld, sondern relativ gesehen auch äußerst ungewöhnlich. Üblich sind Vorratsbeschlüsse von 20 bis 30% des Grundkapitals.

Tatsächlich ist es der pure Mut der Verzweiflung, der Bayer zu diesem Vorgehen zwingt – Ausgang offen. Zwar versichert der Aufsichtsratsvorsitzende Norbert Winkeljohann, die geplante Maßnahme im Vorfeld mit wichtigen Investoren abgesprochen zu haben, doch ist das Grundkapital breit gestreut und Bayer benötigt eine Zustimmung von drei Viertel. Einziger Pluspunkt ist, dass die Stimmrechtsberater eine mit Bezugsrecht ausgestattete Kapitalerhöhung in aller Regel abnicken.

Verlorenes Vertrauen

Die Leverkusener haben sich in eine Sackgasse manövriert. Auf das Wohlwollen der Anteilseigner lässt sich nur schwer bauen. Dazu haben der brutale Kursverfall der Aktie, die Kappung der Dividende auf das gesetzliche Mindestmaß für die Dauer von mindestens drei Jahren sowie die verbesserungswürdige operative Performance beigetragen.

Und auch wenn es schon lange her ist: Mit der Entscheidung, die Übernahme von Monsanto trotz intensiver Bitten der Anteilseigner nicht von der Hauptversammlung absegnen zu lassen, hat sich Bayer einen Bärendienst erwiesen. Seit 2018 verfügen die Leverkusener über keinerlei Vorratsbeschlüsse mehr. Dabei gehören Blankogenehmigungen für Kapitalmaßnahmen zum üblichen Handwerkszeug eines börsennotierten Unternehmens.

Verschärfte Risikolage

Dass Bayer nun just zu einem Zeitpunkt, an dem sich der Aktienkurs nahe dem 20-Jahres-Tief bewegt, um den üppigen Kapitalrahmen ersucht, spricht Bände. Grund dafür ist die nicht enden wollende Klagewelle in den USA. Bislang wurden für die diversen Rechtskomplexe, die vornehmlich Monsanto mitgebracht hat, 13,5 Mrd. Euro ausgegeben. Weitere 6,5 Mrd. Euro sind zurückgestellt. Im jüngsten Geschäftsbericht warnt Bayer ausdrücklich, dass sich die Risikolage im Vergleich zum Vorjahr verschärft hat. Grund ist die steigende Zahl „der schwebenden rechtlichen Verfahren“. Allein die Zahl der noch anhängigen Klagen im Zusammenhang mit dem Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat ist zuletzt wieder auf 67.000 gestiegen. Hinzu kommt der Themenkomplex rund um die Chemikalie PCB.

Von daher ist es richtig, wenn Bayer nun endlich versucht, die Rechtsthemen – Schuldfrage hin oder her – vom Tisch zu bekommen. Die Risiken zehren seit Jahr und Tag am Cashflow und haben den operativen Handlungsspielraum eingeengt. Zugleich ist der Schuldenhebel noch immer so weit hochgezogen, dass sich die weitere Aufnahme von Fremdkapital verbietet. Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch stufen die Bonität mit Dreifach-B ein, Moody’s hat die Bonitätsnote bereits mit einem negativen Ausblick versehen. Eine Herabstufung würde die finanzielle Klemme in Form steigender Finanzierungskosten weiter verschärfen.

Befreiungsschlag?

Die entscheidende Frage aus Aktionärssicht ist, ob es Bayer mit dem Geld aus einer etwaigen Kapitalerhöhung gelingen kann, die leidigen Rechtsthemen ein für alle Mal abzuräumen. Aus den zur Verfügung gestellten Informationen lässt sich das aber gerade nicht ablesen. Zwar sollen Erlöse aus Kapitalmaßnahmen ausschließlich dazu genutzt werden, die Bilanz während der Beilegung der Rechtsstreitigkeiten widerstandsfähig zu halten. Von einem Schlussstrich ist jedoch keine Rede – obwohl nur das einem kurstreibenden Befreiungsschlag gleichkäme.

Dass sich Bayer an diesem Punkt zugeknöpft gibt, ist verständlich. Es verbietet sich, Verteidigungsstrategien und Rechtshändel coram publico zu diskutieren. Ob die leidgeprüften Aktionäre allerdings willens sind, weiteres Geld zur Vergangenheitsbewältigung lockerzumachen, muss sich am 25. April erst noch zeigen.

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