Bedrohliche Blasenbildung am Immobilienmarkt
Bei Zeitenwenden – seien es politische oder ökonomische – hilft die so beliebte Extrapolation nicht weiter. Folglich sucht man Orientierung durch den Blick zurück in die Geschichte. Die vom Ukraine-Krieg ausgelöste Energiekrise wird verglichen mit der von der Opec in den 1970er Jahren inszenierten Ölkrise, die aktuell in den USA und Europa steil anziehende Inflation mit der damaligen Teuerungswelle. Ähnliches gilt für die Rezepte zur Bekämpfung der Krisen. Erinnert wird an das Herumreißen des geldpolitischen Ruders durch die US-Notenbank unter ihrem Präsidenten Paul Volcker. Und weil man aus Geschichte ja lernen will, wird aktuell die Forderung nach einem restriktiveren geldpolitischen Kurs mit dem Warnhinweis einer drohenden Stagflation und der Mahnung versehen, die expansive Geldpolitik nicht zu heftig abzubremsen, zumal wegen der Unsicherheit über Fortgang und ökonomische Folgen des Ukraine-Kriegs.
Von den USA nach Europa
Doch die heutigen Rahmenbedingungen sind mit jenen vor 40 Jahren nicht zu vergleichen. Lösungsansätze von damals können nicht einfach kopiert werden. Fürs Krisenmanagement ist ein granularer Blick nötig, wie auf den als Frühindikator geltenden Markt für Wohnimmobilien. Diese Branche zählt nicht nur zu den stark zyklischen Bereichen einer Volkswirtschaft, sondern auch zu den besonders zinssensitiven. Und was sich seit einigen Monaten am Immobilienmarkt abzeichnet, sollte Notenbanker und Finanzaufseher in Habachtstellung versetzen.
Zuvorderst in den USA, wo die Hypothekenzinsen hochgeschossen sind wie nie zuvor. Seit Jahresanfang haben sich die Zinsen für 30-jährige Hypotheken von durchschnittlich 3,3 auf jetzt 4,9% erhöht. Die durchschnittliche monatliche Belastung eines amerikanischen Hauskäufers ist um mehr als 500 Dollar gesprungen. Das mag für vermögende Eigentümer zu verkraften sein, aber nicht für jene Einkommensschichten, die gerade mal so über die Runden kommen und deren Kaufkraft unter der Inflation gerade schmilzt wie der Schnee in der Frühlingssonne. Erinnern wir uns: Die Krise am US-Immobilienmarkt wurde vor mehr als 15 Jahren von jenen Hauskäufern ausgelöst, die sich Eigentum damals nur dank staatlich subventionierter Finanzierungen leisten konnten. Die Niedrigzinspolitik der US-Notenbank in den vergangenen Jahren wirkte in vergleichbarer Weise.
Gewiss sind die Verhältnisse in den USA nicht direkt mit Europa und insbesondere Deutschland zu vergleichen. Das waren sie aber auch vor 15 Jahren nicht. Wer sich die Mühe macht und in den Archiven blättert, findet viele Argumente damals führender Banken-Ökonomen, weshalb dank der Zinserhöhungen der Fed die Luft im Aktien- und Immobilienmarkt nur allmählich entweichen werde. Ähnlich wie jetzt. Sorge bereitete seinerzeit vielmehr die überhitzte chinesische Konjunktur und die Gefahr einer plötzlichen Abkühlung dort. Es kam anders, wie wir wissen.
Und trotz der nicht vergleichbaren Verhältnisse schwappte die Immobilienkrise auf Europa und Deutschland über. Heute sind die Finanzmärkte noch enger verbunden als damals. Ähnlich der Covid-19-Pandemie lässt sich ein finanzielles Virus nicht auf ein Land begrenzen. Die Blasenbildung im amerikanischen Immobilienmarkt führt über die internationalen Finanzströme früher oder später auch hierzulande zu Blasenbildungen. So hat die Bundesbank kürzlich im Monatsbericht festgestellt, dass das Preisniveau für Wohnimmobilien in den deutschen Städten zwischen 15 und 40% über dem Preis liegt, „der durch soziodemografische und wirtschaftliche Fundamentalfaktoren“ angezeigt sei. Nicht zuletzt ausländisches Kapital treibt dort die Preise.
Wieder 100-%-Finanzierungen
Als besonderes Warnzeichen gilt, dass sich in den Metropolen die Kaufpreise von den Mieten abgekoppelt haben. Während die Mieten in den großen Städten bei Neuverträgen 2021 im Schnitt zwischen 2,5 und 3% stiegen, zogen die Kaufpreise für Wohnungen überproportional um 10 bis 15% an. Dafür gibt es viele Gründe, wie bei Verteuerungen anderer Produkte auch. Aber die Politik des billigen Geldes ist ein wesentlicher Grund. Denn sie ermöglicht die Preisüberwälzungsspielräume.
Das billige Geld und die vermeintlich unaufhaltsame Preisrally bei Wohnimmobilien haben zu Finanzierungen geführt, die an die Zeit vor dem Platzen der letzten Preisblase erinnern. Damals waren – ausgehend von den USA – 100-%-Finanzierungen in Mode gekommen. Solche gehebelten Finanzierungen scheinen fröhliche Urständ zu feiern. In knapp 10% des Neugeschäfts übersteige die Kreditsumme bereits den Kaufpreis der Immobilie, so Bundesbank-Vorstand Joachim Wuermeling dieser Tage in einem Interview. Ihn treibt um, dass der Anteil des Schuldendienstes am verfügbaren Einkommen weiter steigt. Die zuletzt erreichten 29% sind längst nicht das Ende der Fahnenstange, wenn die EZB mit Zinserhöhungen beginnt.
Nicht nur das Überschuldungsrisiko der privaten Haushalte wächst. Für die Finanzstabilität zählt das Kreditrisiko der Banken. Letzteres sorgt die Finanzaufsicht BaFin und den Europäischen Systemrisikorat ESRB. Der ESRB hat den deutschen Aufsehern ein Bündel an Maßnahmen ans Herz gelegt, darunter den kürzlich von der BaFin eingeführten Systemrisikopuffer von 2% für Immobilienkredite.
Fraglich ist indes, ob dies reicht, das muntere Wachstum bei Immobilienkrediten zu bremsen. Besser wäre es, angesichts des billigen Geldes den Anteil der Fremdfinanzierung zu begrenzen, um nicht nur bei Banken, sondern auch bei den Investoren mehr Eigenkapitaleinsatz zu erzwingen. Und fraglich ist vor allem, ob es für ein kontrolliertes Abbremsen nicht schon zu spät ist und die Maßnahmen jetzt nicht prozyklisch wirken. Nach der jahrelangen Fehlallokation von Kapital werden durch die Zinserhöhungen der US-Notenbank und absehbar der EZB weltweit Assetklassen neu bewertet und Finanzströme umgelenkt – mit dem Risiko, dass die durch Fehlallokation entstandenen Blasen platzen.
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