KommentarErste Zinssenkung

Berechtigte Unsicherheit

Die EZB hält sich bei den Spekulationen um den Zeitpunkt der ersten Zinssenkung zurück. Recht hat sie damit.

Berechtigte Unsicherheit

EZB-Zinsdebatte

Berechtigte Unsicherheit

Von Martin Pirkl

Egal, wie hartnäckig die Journalisten auf der Pressekonferenz nach dem Zinsentscheid der Europäischen Zentralbank (EZB) nachgefragt haben: EZB-Präsidentin Christine Lagarde ließ sich keine neuen Informationen zum möglichen Zeitpunkt einer ersten Zinssenkung der Notenbank entlocken. Nicht mal eine Zinssenkung im April wollte sie auf Nachfrage definitiv ausschließen. Die EZB entscheide daten- und nicht datumsbasiert, wiederholte Lagarde das Mantra der Währungshüter.

Die EZB hat recht damit, sich auf nichts festzulegen. Denn eine solche Forward Guidance wäre gefährlich und brächte zudem keinen Nutzen. Die Finanzmärkte völlig im Dunkeln zu lassen und dann mit einer Zinssenkung zu überraschen, ist aber auch keine gute Idee. Eine grobe Richtschnur hat die EZB in den vergangenen Wochen jedoch bereits gegeben. Der Kampf gegen die zu hohe Inflation mache Fortschritte, gewonnen sei er jedoch noch längst nicht. Abermals verzichtete die EZB am Donnerstag daher darauf, über Zinssenkungen auch nur zu diskutieren. Eine Lockerung vor Juni ist weiter unwahrscheinlich, eine Zinssenkung in den Sommermonaten bahnt sich an, solange es keine bösen Überraschungen gibt, etwa bei der Lohnentwicklung.

Gefahr für Glaubwürdigkeit

Diese Andeutungen aus den Reihen der EZB müssen reichen. Schließlich ist die Unsicherheit bei der Entwicklung von Inflation und Konjunktur nach wie vor hoch. Würde die EZB den Zeitpunkt einer möglichen Zinssenkung deutlicher aussprechen, wäre die Gefahr groß, dass die Lockerung am Ende doch früher oder später erfolgen muss. Die EZB täte sich damit in puncto Glaubwürdigkeit keinen Gefallen.

Außerdem lassen sich die Markterwartungen nur bedingt steuern. Obwohl wenig für eine Lockerung bis April spricht – auch nicht nach der Januar-Zinssitzung – halten viele Anleger das für ein realistisches Szenario. Ob Lagarde dies mit einer klaren Absage an eine Zinssenkung bis April zerstreut hätte, ist zumindest fraglich.

Einige Ratsmitglieder sorgen sich, dass die durch die Markterwartungen ausgelöste Lockerung der Finanzierungsbedingungen zum Problem werden könnte, da dies den Inflationsdruck verstärkt. Der Effekt lässt sich jedoch auch anders bewerten: Die günstigeren Finanzierungskonditionen reduzieren die Gefahr, dass die EZB die Zinsen zu spät senkt. So kann die EZB eher mehr Daten abwarten und die Gefahr reduzieren, dass sie zu früh lockert. Insofern zieht die EZB durchaus einen Nutzen daraus, dass einige Analysten die Pressekonferenz nicht als Absage an eine Zinssenkung bis April werten.

Die EZB hält sich bei Spekulationen um den Zeitpunkt der ersten Zinssenkung zurück. Dafür gibt es gute Gründe.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.