Besser eine Strafsteuer auf Russlands Öl als ein Embargo
Kriege werden auch mit Begriffen geführt. Sie dienen der Verharmlosung, Verschleierung, auch der Zuspitzung. So wird in Russland der Angriff auf die Ukraine immer noch als „Militäroperation“ bezeichnet. Der Euphemismus dieses technischen Begriffs ist angesichts der vielen Toten, der mehr als zwei Millionen Menschen auf der Flucht sowie der Vernichtung unzähliger wirtschaftlicher Existenzen menschenverachtend und kaum zu ertragen. Im Westen wird derzeit über die bevorstehende Pleite Russlands geschrieben und damit bei manchen die falsche Hoffnung geschürt, Russland könnte sich dann den Krieg vielleicht nicht mehr leisten. Zugleich wird die Sorge bestärkt, dass dies Präsident Putin zu noch brutalerem Kriegshandeln veranlassen könnte.
Russland geht nicht pleite
Während unter Pleite landläufig Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit verstanden wird, geht es im Falle Russlands jedoch nur um den absehbaren Ausfall von Zins- und Tilgungszahlungen. Letzteres auch nicht, weil Russland diese Zahlungen zu leisten nicht mehr in der Lage wäre, sondern weil es erstens diese Zahlungen als Reaktion auf die verhängten Sanktionen nicht mehr leisten will und zweitens aufgrund der vom Kreml verhängten Kapitalverkehrskontrollen ausländische Verbindlichkeiten nicht mehr in Devisen bedient werden dürfen. Damit droht nach den Kriterien der Ratingagenturen der Default, was in diesem Fall weniger für den Schuldner Russland als vielmehr für deren Gläubiger ein Problem darstellt. Denn den internationalen Kapitalmarkt können Russland und russische Staatskonzerne so oder so auf absehbare Zeit nicht mehr anzapfen.
Die Hoffnung, dass Russland bei einer „Staatspleite“ das Geld ausgehen werde, trügt aus verschiedenen Gründen. Erstens ist Russlands Auslandsverschuldung ohnehin nicht sehr hoch in Relation zum BIP. Die auf US-Dollar oder Euro lautenden Staatsanleihen machen etwa 50 Mrd. Dollar aus. Zweitens verfügt Russland trotz des Einfrierens der meisten ausländischen Devisenreserven der Zentralbank immer noch über umgerechnet etwa 90 Mrd. Dollar, die in China in Yuan angelegt sind, sowie über im Inland hinterlegte Goldreserven im Wert von 140 Mrd. Dollar. Und drittens nimmt Russland laufend Devisen ein, solange es weiterhin Gas, Öl und Kohle liefert, allein von den Europäern täglich fast 1 Mrd. Dollar. Denn die Sanktionen haben die Energielieferungen bisher ausgenommen. Das nun von den USA und Großbritannien verhängte Embargo gegen russische Energieträger trifft angesichts des überschaubaren Volumens Russland kaum, wie auch umgekehrt USA und Großbritannien mit dem Abnahmestopp aufgrund ihrer geringen Abhängigkeit kein großes Opfer bringen.
In Kontinentaleuropa und insbesondere Deutschland ist die Lage bekanntlich anders. Aus gutem Grund zögert deshalb die Bundesregierung mit einem Embargo für Gas, Öl und Kohle: Die Folgen einer solchen Wirtschaftssanktion träfen Deutschland derzeit härter als Russland. Auf den Kriegsverlauf in der Ukraine hätte ein solches Embargo wohl kaum mehr Wirkung. Erst mittel- und langfristig würde Russland die wirtschaftlichen Folgen eines solchen Embargos spüren. Kurzfristig dagegen könnte der davon verstärkte Preisschub bei Öl, Gas und Kohle den Einnahmeausfall Russlands sogar mildern, wenn größere Mengen zu höheren Preisen an China und andere Abnehmer gingen.
Anstelle von Öl-Embargos sollten die westlichen Regierungen russisches Öl und Gas drastisch verteuern. Maßnahmen, die so ähnlich schon von Ökonomen in den 1970er Jahren beim Ölpreiskrieg der Opec diskutiert wurden, hat jüngst der Harvard-Ökonom Ricardo Hausmann als wirksame Strategie gegen Russland empfohlen.
Griff in Putins Kriegskasse
Hausmann schlägt anstelle eines Öl-Embargos eine sehr hohe Strafsteuer von 90% oder 90 Dollar pro Barrel auf russische Ölimporte vor. Da der Markt von einer sehr hohen Nachfrageelastizität geprägt sei – weil Öl ja auch aus den Golfstaaten, den USA, Lateinamerika und anderen Ländern kommt – und russisches Öl zumindest kurzfristig eine sehr geringe Angebotselastizität habe, würde die Steuer überwiegend von Russland getragen. Denn die Ölverbraucher würden für russisches Öl auf keinen Fall mehr bezahlen als beispielsweise für Brent-Öl, das nicht von der Strafsteuer belastet sei. Für Russland wäre bei fixen Kosten von 2,70 Dollar je Barrel und variablen Produktionskosten von knapp 6 Dollar je Barrel die Ölförderung auch dann noch wirtschaftlich, wenn der Preis abzüglich Strafsteuer bis auf 6 Dollar je Barrel fallen sollte. Wenn sich die wichtigsten Abnehmerländer russischer Energieexporte einig seien, ließen sich mit dieser Strafsteuer jährlich etwa 300 Mrd. Dollar aus Putins Kriegskasse abschöpfen.
Ob Strafsteuer oder nicht – im Westen sollte man sich von der Vorstellung lösen, dass Sanktionen kurzfristig Einfluss auf Putins Politik nähmen. Leiden wird das russische Volk, nicht aber der Präsident. Putin braucht weder Levi’s-Jeans noch McDonald’s-Burger noch Apple-Smartphones oder Urlaubsreisen an die Côte d’Azur. Solange Putin seinem Volk diesen Krieg als heldenhafte Verteidigung der russischen Nation gegen Bedrohung durch Nazi-Revanchismus und Nato-Imperialismus verkaufen und dies notfalls mit allen Mitteln der Repression fortsetzen kann, so lange werden die Menschen die Entbehrungen ertragen und Putins Gewaltherrschaft kein Ende setzen.
Die Sanktionen werden aber, wenn der Westen sie konsequent durchhält, das jetzt schon auf dem Niveau eines Agrargüter- und Rohstofflieferanten stagnierende Russland wirtschaftlich weiter zurückwerfen. Russland wird noch schneller technologisch den Anschluss an die Welt verlieren, entsprechend wird auch seine militärische Macht erodieren. Putins Wahnvorstellung eines restaurierten Großrusslands gebiert ein ausgemergeltes und in seinen autoritären Strukturen erstarrtes Land, dem ein ähnlicher Zerfallsprozess droht wie einst der Sowjetunion.