Im BlickfeldM&A in Großbritannien

Die große Schnäppchenjagd beginnt

Immer mehr britische Unternehmen werden vom Kurszettel gestrichen. Niedrige Bewertungen und willige Verkäufer tragen dazu bei.

Die große Schnäppchenjagd beginnt

Die große Schnäppchenjagd beginnt

Immer mehr britische Unternehmen werden vom Kurszettel gestrichen. Niedrige Bewertungen und willige Verkäufer tragen dazu bei.

Von Andreas Hippin, London

Das Geschäft mit Übernahmen und Fusionen (M&A) hat in Großbritannien in diesem Jahr Fahrt aufgenommen. Anfang des Monats liefen dem Broker Peel Hunt zufolge 19 Kaufangebote für FTSE-350-Gesellschaften. Im gesamten Vorjahr hatte es nur zwei gegeben.

Vieles spricht dafür, dass die Schnäppchenjagd im kommenden Jahr erst so richtig losgeht. Die Wirtschaft ist seit Jahresbeginn jedes Quartal gewachsen. Die politische Lage hat sich unter Labour stabilisiert, auch wenn noch einiges im Argen liegt. Finanzinvestoren suchen Wege, um Portfoliounternehmen zu Geld zu machen, die sie in den vergangenen Jahren nicht an den Markt bringen konnten.

Wachsender Verwertungsdruck

„Der Druck zur Verwertung wächst“, sagt George Close-Brooks, Co-Head of Asset Advisory bei Bank of America, mit Blick auf die Private-Equity-Gesellschaften. „Manchmal ist es besser, heute eine solide Rendite zu erwirtschaften als auf ein höheres Multiple in fünf Jahren zu warten.“ Doch liegen die Preisvorstellungen von Verkaufswilligen und möglichen Erwerbern oft weit auseinander. Marktbeobachtern zufolge werden an den Private Markets immer noch unrealistische Multiples gefordert.

„Private-Equity-Gesellschaften haben vielleicht noch eine Sicht, die auf das Jahr 2021 zurückgeht, als die Bewertungen höher waren, was zum Teil niedrigere Kapitalkosten widerspiegelte“, sagt Close-Brooks. „Da ist ein noch ein bisschen weiterer Weg zu gehen.“

„Guter Jagdgrund“

„Das Vereinigte Königreich bleibt dank niedriger Bewertungen und williger Verkäufer sowohl für strategische als auch für Private-Equity-Käufer ein guter Jagdgrund“, schrieb Charles Hall, Head of Research bei Peel Hunt. „Allerdings gibt es eine größere Bereitschaft, für zu niedrig erachtete Gebote abzuschmettern.“

Diese Erfahrung machte zuletzt Hugo-Boss-Großaktionär Mike Ashley beim Luxushandtaschen-Hersteller Mulberry. Dessen Haupteigentümer, Christina Ong und ihr Ehemann Ong Beng Seng, die 56% der Gesellschaft halten, erklärten, „kein Interesse“ an einem Verkauf zu haben. Ashleys Frasers Group hatte ihr Angebot von 130 auf 150 Pence aufgestockt.

Murdoch blitzt ab

Rupert Murdoch war zuvor beim Immobilienportal Rightmove abgeblitzt. Nachdem der Board der FTSE-100-Gesellschaft auch das vierte Angebot der australischen REA Group abgelehnt hatte, das das Portal mit 6,2 Mrd. Pfund bewertete, zog sich der Medienmogul Ende vergangenen Monat zurück. Auch Anglo American, Currys und Direct Line setzten sich gegen unerwünschte Schnäppchenjäger durch.

Bislang wurde Peel Hunt zufolge im Schnitt eine Prämie von 40% auf den Aktienkurs vor Bekanntwerden der Übernahmeabsichten geboten. In manchen Fällen war es allerdings wesentlich mehr. So bot etwa der Finanzinvestor EQT eine Prämie von 69% für den Videospiele-Dienstleister Keywords Studios. Der US-Logistiker GXO offerierte einen Aufschlag von 106% für Wincanton. Ausländische Erwerber sind in der Mehrheit.

Strategen in der Mehrheit

Das Käuferinteresse beschränkt sich nicht nur auf börsennotierte Gesellschaften. Es sind vor allem Strategen, die seit Jahresbeginn am Markt aktiv sind. Dass Unternehmen zukaufen wollen, zeugt von größerer Zuversicht, was das Zinsumfeld und die wirtschaftlichen Perspektiven des Landes angeht.

Wie am Wochenende bekannt wurde, will der staatliche spanische Schiffsbauer Navantia die in Zahlungsnöte geratene nordirische Werft Harland & Wolff übernehmen. Dort wurde einst die „Titanic“ gebaut. Navantia hält das Unternehmen bereits über Wasser, um einen 1,6 Mrd. Pfund schweren Auftrag der Hilfsflotte der Royal Navy zu behalten.

Klarheit benötigt

„Was man für M&A braucht, ist, wenn schon nicht Gewissheit, dann doch Klarheit“, sagt Peter Luck, Head of UK Investment Banking bei Bank of America. „Wenn man das Gefühl politischer Ungewissheit hat, ist das für Übernahmen und Fusionen am Allerschädlichsten. Eine neue Regierung zu haben, gibt einem etwas Zuversicht. Das bedeutet aus unserer Sicht nicht, dass Firmen in den kommenden Monaten plötzlich mehr Zukäufe tätigen. Aber langfristig sollte die Aktivität zunehmen.“

Risikofaktoren sind die Kriege in Nahost und in der Ukraine. „Vorausgesetzt es kommt nicht zu einem Makro-Schock, erwarten wir, dass sich der Trend zu mehr Übernahmen und Fusionen ins kommende Jahr hinein fortsetzt“, sagt Alisdair Gayne. Er führt gemeinsam mit dem J.P.Morgan-Veteranen Tim Main das Investment Banking von Barclays in Europa, Nahost und Afrika.

Haushaltsentwurf naht

„Die Unternehmen verfügen über eine gute Kapitalausstattung“, sagt Gayne. „Der Aktienmarkt ist nicht teuer und Finanzinvestoren werden Assets recyceln wollen.“ Im dritten Quartal hat die M&A-Aktivität etwas nachgelassen. Am 30. Oktober wird Schatzkanzlerin Rachel Reeves ihren Haushaltsentwurf vorstellen. Danach wird klar sein, welche Steuererhöhungen auf Unternehmen und Verbraucher zukommen.

„Der Einfluss der neuen Regierung steht stark im Fokus“, sagt Gayne. „Sie ist sehr interessiert daran, Wachstum anzuregen und mehr Investitionen anzuziehen. Die Wirtschaft wartet nun darauf, wie sich diese Schwerpunktsetzung in der Regierungspolitik widerspiegelt. Das wird sowohl im Inland als auch für mögliche Investoren aus dem Ausland wichtig sein.“

Schrumpfender Kurszettel

Die Kanzlei Ashurst führte auch geopolitische Ungewissheiten wie die herannahende Wahl in den Vereinigten Staaten als Gründe dafür an, dass der Spätsommer ruhiger verlaufen ist. Mit Blick auf die laufenden Angebote schätzt Peel Hunt, dass rund ein Zehntel des Börsenwerts des FTSE 250 vom Kurszettel verschwinden könnte. Technologie und Immobilien waren seit Jahresbeginn die Branchen mit der größten M&A-Aktivität. Der Energiesektor könnte demnächst folgen.

Öl und Gas im Fokus

„Die Konsolidierung in der Öl- und Gasbranche ist schon lange ein Thema“, sagt Gayne. „Wir haben zum Beispiel Harbour Energy beim Kauf der Wintershall-Assets von BASF beraten. Ich erwarte mit Blick auf die Dynamik der Branche, dass die Konsolidierung weitergeht.“ „Die strategischen Käufer bleiben sprungbereit“, sagt Luck mit Blick auf den Gesamtmarkt. „Private Equity kommt zurück, ist aber noch nicht da. Jetzt ist eine gute Zeit dafür, ein strategischer Käufer zu sein.“

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