Boeing zeigt VW, wie man sich am Nasenring durch die Manege führen lässt
Boeing
Am Nasenring durch die Manege
Von Sebastian Schmid
Früher haben deutsche Manager oft neidisch auf ihre US-Kollegen geblickt, wenn es um Tarifverhandlungen ging. Die Zeiten dürften vorbei sein. Boeing zeigt VW, wie es nicht laufen darf.
Die Liste der Banken, die dem unter Druck stehenden Flugzeugbauer Boeing helfen sollen, eine Kapitalerhöhung von bis zu 21 Mrd. Dollar unter die Leute zu bringen, umfasst das Who’s Who des internationalen Investment Bankings. Die All-Star-Riege wird aber auch nötig sein, um ein Angebot zu vermitteln, das von Tag zu Tag unattraktiver wird – und das Boeing unbedingt benötigt, damit die Ratingagenturen die Bonitätsnote nicht auf Ramschniveau senken.
Derweil zeigt das Management bei parallel laufenden Tarifverhandlungen, wie leicht es sich am Nasenring durch die Manege führen lässt. Die Gewerkschaften fordern für vier Jahre satte 40% mehr Lohn und sind durch die Ankündigung des Boeing-Vorstands, 17.000 Stellen abbauen zu wollen, nicht kompromissbereiter geworden. Gegen ein erstes Angebot des Vorstands über 25% mehr Lohn hatten die Mitarbeiter quasi unisono votiert. Eine zweite Offerte über 35% Lohnaufschlag lehnten immer noch knapp zwei Drittel der Angestellten ab. Die neue Offerte des Konzerns von 38% Aufschlag plus einer Einmalzahlung über 12.000 Dollar unterscheidet sich allenfalls noch semantisch von der Ursprungsforderung. Der Effekt des Jobkahlschlags würde damit nivelliert. Künftig wird Boeing Flugzeuge zu fast gleichen Kosten mit deutlich weniger Mitarbeitern bauen müssen.
Während deutsche Manager früher oft Anschauungsunterricht in den USA genommen haben, um zu sehen, wie eine Restrukturierung erfolgreich läuft, taugt Boeing nur noch als abschreckendes Beispiel. Der Autobauer Volkswagen, der sich ebenfalls in Tarifverhandlungen befindet und eine Restrukturierung angeht, hat dem US-Konzern zumindest voraus, dass nicht auch noch Kapital aufgenommen werden muss. Doch die Stimmungslage ist ähnlich. Die IG Metall sieht angesichts des Preisauftriebs der vergangenen Jahre Nachholbedarf in der Lohnentwicklung. Die Verantwortung an der Misere des Konzerns sieht die Gewerkschaft auch im Management. Anders als Boeing-CEO Kelly Ortberg kann sich VW-Chef Oliver Blume ein vergleichbares Einknicken aber nicht leisten. Boeing agiert in der privaten Luftfahrt als einer von nur zwei großen Rivalen und hat zudem im Verteidigungssektor die US-Regierung als Großabnehmer. VW muss sich derweil einem scharfen Wettbewerb stellen, der Besonnenheit bei allen Beteiligten erfordert.