LeitartikelNeuwahlen Frankreich

Bonjour, Ungewissheit

Der Ausgang der Neuwahlen in Frankreich ist entscheidender als die Europawahl. Ein Wahlsieg des RN ohne absolute Mehrheit ist wahrscheinlich. Unklar bleibt, ob Macrons Machtkalkül für die Präsidentenwahlen 2027 aufgeht.

Bonjour, Ungewissheit

Wahlen in Frankreich

Bonjour, Ungewissheit

Eine Kohabitation mit dem rechtsextremen RN würde Frankreichs Position in Europa und darüber hinaus schwächen.

Von Gesche Wüpper

Die überraschende Entscheidung von Präsident Emmanuel Macron, die Assemblée Nationale aufzulösen und Neuwahlen auszurufen, hat Frankreich eine Chaos-Woche beschert, die bisweilen an einen schlechten Film erinnerte. Republikaner-Chef Éric Ciotti verschanzte sich in der Parteizentrale, nachdem ihn der Vorstand der konservativen Partei nach seiner Ankündigung, mit dem rechtsextremen Rassemblement National (RN) eine Allianz eingehen zu wollen, ausgeschlossen hatte. Während die konservative Opposition auseinanderbrach, hat sich das linke Lager zur Nouveau Front Populaire zusammengeschlossen, um den Sieg des RN zu verhindern. Neben der linksextremen Partei La France Insoumise (LFI) gehören dem Bündnis, dessen Name an die linke Volksfront von Léon Blum 1936 erinnern soll, Sozialisten, Kommunisten und Grüne an. Noch ist unklar, wen sie im Fall eines Wahlsieges als Regierungschef vorschlagen wollen.

Seit Macrons Ankündigung gibt es tägliche neue Entwicklungen. Die Unsicherheiten, die damit einhergehen, dürften bis zur ersten Wahlrunde am 30. Juni anhalten. Mindestens. Französische Staatsanleihen und Aktien stehen unter Druck, vor allem Werte aus dem Bank- und Energiesektor. Die Möglichkeit, dass rechts- oder linksextreme regierungsunerfahrene Parteien künftig die zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone lenken könnten, verängstigt Investoren. Denn die protektionistischen Programme gefährden die öffentlichen Finanzen und die Haushaltskonsolidierung. 

Macrons Kalkül, er könne wie in der Vergangenheit ein breites republikanisches Bündnis gegen den RN errichten, scheint nicht aufzugehen. Der Aufruf seiner Regierungspartei Renaissance, der rechtsextreme RN müsse unter allen Umständen verhindert werden, zieht bei vielen Wählern nicht mehr. Sie sind tief enttäuscht von Macron und werfen ihm vor, ihre Realität aus den Augen verloren zu haben und mit seiner arrogant-selbstverliebten Art obendrein die verhasste Pariser Elite zu verkörpern. Wie die vorgezogenen Parlamentswahlen in Frankreich ausgehen, ist daher alles andere als klar. Dafür gibt es zu viele Unsicherheitsfaktoren, wie die Wahlbeteiligung und die extrem kurze Zeit für den Wahlkampf. Deshalb lässt sich das Ergebnis der Europawahlen nicht einfach auf die Parlamentswahlen mit ihren zwei Wahlgängen übertragen. Es lässt sich nur eine gewisse Tendenz daraus ablesen. Dass die Regierungspartei auf eine Mehrheit kommt, scheint völlig unwahrscheinlich.

Stattdessen deutet alles darauf hin, dass dies dem rechtsextremen RN gelingen wird. Zumal sich sein Spitzenkandidat Jordan Bardella bemüht, ihm einen wirtschaftspolitisch gemäßigteren Anstrich zu geben. So rückt er bereits von seinem Versprechen ab, die Rentenreform Macrons rückgängig machen zu wollen. Derzeit erscheint ein Wahlsieg des RN ohne absolute Mehrheit am wahrscheinlichsten. Damit droht Frankreich weiterer Stillstand. Auch ein Sieg des Nouveau Front Populaire ist nicht völlig auszuschließen. Das wäre für Investoren aber ebenfalls kein gutes Signal. Denn das Linksbündnis will das Renteneintrittsalter wieder senken, eine Vermögensteuer einführen, Steuererleichterungen für Unternehmen wieder abschaffen sowie Renten und Mindestlöhne erhöhen.

Macron verfolgt mit den Neuwahlen letztlich das Ziel, einen Sieg der Rechtsextremen 2027 bei den Präsidentschaftswahlen quasi über Bande zu verhindern. Dabei setzt er darauf, dass sich der RN abnutzt und seine Unfähigkeit offenkundig wird, wenn dieser die nächste Regierung stellen sollte. Damit geht Macron aber ein großes Risiko ein. Denn eine Kohabitation bedeutet nicht nur für Frankreich enorme Unsicherheit, Blockade und Rückschritt. Sondern wegen der wirtschaftspolitischen Ideen und des russlandfreundlichen außenpolitischen Kurses des RN ist sie auch gefährlich für seine Partner – selbst wenn die Außen- und Verteidigungspolitik dem Präsidenten vorbehalten bleiben. Eine Kohabitation schwächt Frankreichs Position in der Welt, schwächt damit aber auch Europa. Darum ist der Ausgang der Frankreich-Wahlen letztlich entscheidender, als es die Europawahlen vor einer Woche gewesen sind.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.